El Gouna wird gerne als „Venedig am Roten Meer“ vermarktet. Für Kiter lohnt sich ein Besuch in der künstlichen Küstenstadt jedoch aus anderen Gründen.

Foto: Nicolas Chibac

Disneyland in der Wüste

Sobald sich aber die Schranke des Security-Checkpoints in El Gouna hinter dem Auto schließt, tritt man nahtlos in eine leicht surreal wirkende Parallelwelt ein. Nach der halbstündigen Transferfahrt vom Flughafen durch die Außenbezirke Hurghadas ist plötzlich alles sauber, gepflegt, grün bepflanzt und die Straßen von schnurgerade aufgereihten Palmen gesäumt. An der Marina – neben Downtown das eigentliche Zentrum – liegen sündhaft teure Yachten aufgereiht, deren Eigner selten mehr als einmal im Jahr ihren kostspieligen Statussymbolen einen Besuch abstatten.

Im Vergleich zu Hurghada ist in Gouna alles gediegener, einen Hauch mondäner – allerdings mindestens genauso touristisch. Und alles wirkt leicht künstlich. Man fühlt sich wie in einer einzigen großen Ferienanlage. Trotz der vielen Brücken und Kanäle hinkt der Venedig-Vergleich, denn es fehlt an Historie und Hochkultur. Man könnte unken: Gouna ist die Disneyland-Kopie Venedigs – ohne Mickey Mouse, dafür mitten in der Wüste. Das Konzept Gouna hat einen entscheidenden Vorteil im Vergleich zu vielen anderen ägyptischen Anlagen: Man ist hier nicht im Hotel eingesperrt. Natürlich kann man sich auch in Hurghada oder Marsa Alam frei bewegen, doch viele Pauschaltouristen trauen sich aufgrund diffuser Ängste nur selten vor die Türen ihrer goldenen Hotelkäfige. In El Gouna gehört es einfach dazu, abends nochmal auf einen Drink ins „Bartender“, ins „Moods“ oder eines der vielen Restaurants in Downtown zu gehen. Thomas Beckmann, Chef des Kiteboarding Club, bringt es auf den Punkt: „Nach Gouna fährst Du, wenn Du keinen Stress haben willst. Hier ist alles völlig entspannt. Es gibt keine Störfaktoren, keine Kriminalität. Kiter wollen einfach nicht im Hotel eingesperrt sein.“

Großes Freizeitangebot

Neben den Hotels findet man die üblichen Shops, Restaurants, Wellness-Tempel und ein ausuferndes Entertainment-Angebot. Tauchen, Golfen, Reiten, mit dem Quad durch die Wüste nageln – das typische Ägypten-Programm. Sogar eine Wakeboard-Anlage steht am Ortseingang. Dazu kommen Sehenswürdigkeiten mit kulturellem Anspruch, wie die Außenstelle der Bibliothek von Alexandria oder die Niederlassung der Technischen Universität Berlin. Wer jedoch landestypische Kultur und das „echte“ Ägypten erwartet, ist in Gouna falsch. Die meisten der 20.000 Einwohner arbeiten im Tourismus. Ägyptische Angestellte können sich die explodierenden Mieten in Gouna nur selten leisten; nach der Inflation erst recht nicht. Während die massive Entwertung des Ägyptischen Pfunds viele Einheimische vor ernsthafte Probleme stellt, freuen sich die Euro-Touristen. Durch den Wechselkurs ist Ägypten zurzeit billig wie nie. Wer in Ägyptischen Pfund zahlt, bekommt in günstigen Restaurants komplette Mahlzeiten bereits ab umgerechnet fünf Euro und dazu den halben Liter Bier für 2,50 Euro.

 

The Place to kite

Doch für Kite-Touristen zählt in Gouna noch etwas ganz Anderes. Seitdem Anfang der Nuller-Jahre die ersten Kites am Himmel gesichtet wurden, verbreitete sich die Kunde wie ein Lauffeuer: El Gouna ist der „Place to kite“. Hohe Windsicherheit, warme Temperaturen, kristallklares Wasser und stehtiefe Lagunen eröffneten schon damals paradiesische Aussichten in nur vier Flugstunden. Die Kite-Stationen schossen wie Krokusse im Frühjahr aus dem Boden und Event-Veranstalter wie Kitecity schaufelten scharenweise windhungrige Kiter in die Lagunenstadt. Daran hat sich bis heute wenig geändert, nur der große Hype ist etwas abgeebbt. Revolution, Fake-News über Terroranschläge und „German Angst“ haben dem ägyptischen Tourismus in den letzten Jahren schwer zugesetzt.

 

Flachwasser-Fans treffen auf Foiler

Erste Anlaufstelle für die meisten deutschsprachigen Kiter ist nach wie vor der Kiteboarding Club. Die Vorzeigestation bietet alle Annehmlichkeiten: Bar, Restaurant, kostenloses Wifi, Massagen, Kite-Repair und Storage, eine großzügige Sonnenterasse sowie allerlei Unterhaltungsmöglichkeiten für die windlosen Tage. Der Spot eignet sich mit seiner relativ großen stehtiefen Flachwasser-Lagune gleichermaßen für Einsteiger, Aufsteiger, Freerider und Freestyler. Zwar ist die Distanz bis zum vorgelagerten Riff, das bei Ebbe den Finnen gefährlich nahekommen kann, mit einigen hundert Metern deutlich kleiner als in Hamata, doch wer nach Luv ausweicht, findet auch bei Hochbetrieb ausreichend Platz auf dem Wasser. „Bei uns wird außerdem Foilen immer populärer. Man kann bei Lowtide zu Fuß bis zum Channel gehen und von dort aus mit dem Foil ins kristallklare, tiefe Wasser starten“, schwärmt Beckmann. Wer sein Foil nicht bis zur Riffkante schleppen möchte, dem bietet Stationsleiter Mo ein kostenloses Bootsshuttle.

Widerbelebt: Kitepower

Beckmann hat die Ägypten-Krise nicht nachhaltig geschadet: „Natürlich hatten wir auch mal ein Jahr mit Buchungsrückgänge von durchschnittlich 30 Prozent, in Spitzen sogar 50-60 Prozent. Aber das hat sich schnell wieder gelegt. Aktuell liegen wir nur noch rund zehn Prozent unter den Werten der Vorjahre. Ich denke, die meisten Kiter haben verstanden, dass es in in Paris in der U-Bahn wohl gefährlicher ist als hier.“

Dass das Geschäft in El Gouna wieder läuft, weiß auch Kitepower- und Kite-Village-Eigentümer Harbi Rashed. Nachdem Kitepower zwischenzeitlich dicht gemacht hatte, baut Harbi ein neues Center am nördlichen Ende der Lagune. Das Gebäude steht bereits, ist aber noch nicht bezugsfertig. Eröffnungstermin: ägyptisch-flexibel. Laut Klaus Schweighofer vom Kite-Village soll im Sommer ein Softopening stattfinden, die endgültige Eröffnung sei fürs Frühjahr 2019 geplant. Dazu gesellen sich die Stationen Kitepeople am Mövenpick, Element Watersports und Osmosis. Die neue RRD Station direkt neben Element Watersport war wohl nur ein Strohfeuer. Nachdem man letztes Jahr dort noch einen WKL-Freestyle-Worldcup veranstaltete, soll die Station schon wieder vor dem Aus stehen. Auf dem deutschen Reisemarkt spielte sie ohnehin keine Rolle. Unklar ist die künftige Rolle des Element Watersport Centers. Nach KITE-Informationen soll es eine lokale Regelung geben, nach der Element den deutschsprachigen Kite-Markt nicht bearbeiten dürfe. Dennoch findet sich die Station auf den Websites einiger großer Reiseveranstalter, teilweise nur als Windsurf-Station, doch deutsche Kiter trifft man dort ebenfalls.

Beliebtes Reiseziel

Bei den Reiseveranstaltern gehört Gouna nach wie vor zu den Top-Destinationen. Je nach Hotelwunsch werden passend die verschiedenen Stationen angeboten. Der Großteil bucht im KBC ein. Beim Club Paradiso befindet sich das Osmosis Center direkt auf dem Hotelgelände. Vom Bett aufs Brett geht es ebenfalls im Mövenpick mit der Kitepeople Station. Ansonsten zählen das Mosaique, das Fanadir und für preisbewusste Kiter auch das Captain´s Inn zu den beliebten Adressen. Von den Hotels an der Marina gelangt man mit dem Tuk Tuk in gut fünf Minuten zum Mangroovy und Buzzha Beach. Wem das zu weit ist oder wer es luxuriös Ambiente schätzt, kann demnächst über Sun and Fun das Sechs-Sterne-Hotel Maison Bleu buchen. Dann residiert man in direkter Nachbarschaft zum Kiteboarding Club mit Blick auf den Spot.

Gut zu wissen

Anreise: Flüge von fast allen großen deutschen Flughäfen mehrmals die Woche nach Hurghada. Von dort 30 Minuten Transfer nach El Gouna (Boardbag für den Transfer vorher anmelden!).

Wind und Wetter: Frühjahr und Herbst ist klimatisch die angenehmste Zeit. Im Hochsommer kann es an windlosen Tagen unerträglich heiß werden. Dafür steigt von Juni bis September die Wahrscheinlichkeit von Starkwind-Tagen. Die geringste Windwahrscheinlichkeit – mit immerhin noch knapp über 50 Prozent auf mehr als vier Windstärken – herrscht von November bis Februar. (s. auch Windstatistik für El Gouna von Windguru).

Buchung: Günstige Komplett-Angebote inklusive Flug, Hotel und Station findet man zum Beispiel bei kitereisen.com, Ola Sportreisen, Sun and Fun oder KBC Travel. Eine Woche inclusive Hotel und Flug beginnt ab 400 Euro.

Offizielle Website von El Gouna: www.elgouna.com

 

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien in KITE Ausgabe 2/18 im April 2018 und stellt die Situation mit Stand Anfang 2018 dar. Mit dem Makani Beach Club hat 2019 eine weitere Station zwischen Element Watersports und der neuen Kite Power Station eröffnet.