Brandon Bay auf der irischen Halbinsel Dingle ist unter Wave-Kitern längst mehr als ein Geheimtipp. Die Bucht liegt mitten in der Zugbahn atlantischer Sturmtiefs, die fette Wellen an die irische Küste schaufeln. Wer nichts gegen Regen und raues Wetter hat, kann dort die Wave-Session seines Lebens erwischen. Oliver Spang war im Herbst 2018 vor Ort.
„At least it doesn’t rain in the pub“, sagen die locals
Unaufhörlich prasselt der Regen auf die Windschutzscheibe unseres Mietwagens und der Scheibenwischer läuft auf Hochtouren. Auf diesen Aspekt des irischen Wetters waren wir vorbereitet, allerdings hatten wir nicht damit gerechnet, dass der Wind ausbleibt. Über mehrere Tage: zero, nichts, nada. Während der Mittelmeerraum im Wetterchaos inklusive Orkanwind und meterhohen Wellen versinkt, wird unsere Geduld im windlosen Dauerregen auf eine harte Probe gestellt. Doch Finn, der windsurfende Barkeeper aus dem Pub „Spillanes“, macht uns Hoffnung auf baldige Besserung: „Die Ausläufer des Hurricanes Oscar haben Kurs auf Irland genommen. Am Wochenende wird es stürmisch und groß, richtig groß! Das wird perfekt für Gowlane!“
Durch den halbmondförmigen Verlauf der Brandon Bay lässt sich bei beinahe allen Windrichtungen ein Spot mit perfektem Winkel von Wind und Wellen zueinander finden. Die beiden Hardcore-Spots Gary Williams Point (bei NO-Wind) und Mossies (bei NW-Wind) am nördlichen Ende der Bucht bei Fahamore erwachen erst ab einer Swellhöhe von drei bis vier Metern zum Leben. Auch sechs Meter sollen keine Seltenheit sein. Am saubersten brechen die Wellen bei Ebbe, allerdings werden Fehler dann gnadenlos bestraft. Denn in Lee wartet das trockene Riff. Etwas gemäßigter wird es in Shitties – heißt wirklich so und funktioniert ebenfalls am besten bei Nordwest – am südlichen Ende des Riffs, bevor es dann übergeht zu den Beachbreaks Dumps (bei nördlichen und südlichen Winden; direkt an der Straße gelegen, daher meist etwas voller), Stoney Gap (ebenfalls bei N- und S-Wind, meist kleinere Wellen als in Dumps, Einfahrt etwas versteckt beim Sandy Bay Caravan Park).
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Der vermutlich bekannteste Spot ist Gowlane. Hier weht der oft vorherrschende SW-Wind schräg ablandig, bei Flut im Uferbereich böig, und ermöglicht schier endlose Ritte auf den sauberen Wellen. Ab 35 Knoten und auflaufendem Wasser kann es allerdings etwas choppy werden. Werden an den Big Days hier und in Stradbally (SW-Wind) die Bedingungen unfahrbar, lohnt oft ein Abstecher nach Fermoyle und Kilcummin. Durch den Wellenschatten vom Brandon Head herrschen hier meist gemäßigtere Bedingungen mit weniger kraftvollen Wellen, die auch von Wave-Novizen zu meistern sind. Kommt der Swell zu südlich für die Brandon Bay, lohnt ein Ausflug über den Connor Pass auf die Südseite der Dingle-Halbinsel. Der kilometerlange Inch Beach (N- und S-Wind) kann mit dem Auto befahren werden und ein Restaurant sowie ein Surf-Verleih sorgen für eine perfekte Infrastruktur. Am flach abfallenden Strand brechen die großen Wellen weit draußen und Waveeinsteiger können sich langsam an die neue Herausforderung herantasten.
52 Pubs in einem 2.000-Seelen-Örtchen
Als wolle uns der irische Wettergott sanftmütig stimmen, verzieht sich über Nacht der Dauerregen der letzten Tage und die Sonne lacht uns ganztägig vom wolkenlosen Himmel entgegen. Zwar immer noch ohne Wind, aber inzwischen vermeldet auch Windfinder für unseren Abreisetag Alarm aus Südwest mit 30 bis 40 Knoten und vier Meter Welle bei einem Abstand von 17 Sekunden. Ein Glück, war ich mir doch nach dem Aufwachen zuerst nicht ganz sicher, ob ich nach den zahlreichen Guinness‘ am Vorabend die halb genuschelte Windprognose im irischen Slang korrekt verstanden hatte. Mit ungleich besserer Laune verlassen wir das Haus und fahren in Richtung Dingle. Wir entfliehen erstmalig unserem Mikrokosmos aus Kartenspielen, Schlafen und Pub-Besuchen und fühlen uns in dem 2000-Einwohner-Fischerort wie in einer anderen Welt. Souvenirläden, Restaurants und Pubs wechseln sich mit farbenfroh gestrichenen Wohnhäusern ab. Glaubt man den Einheimischen, besitzt Dingle mit 52 Pubs mehr Bars pro Kopf als jede andere Stadt in Irland. Die Iren sind ein sehr kontaktfreudiges Volk, deren Pubkultur legendär ist. Hier werden Geschäfte abgewickelt, feucht-fröhliche Trauerfeiern abgehalten, Klatsch und Tratsch ausgetauscht oder einfach nur Bier in rauen Mengen getrunken und es ist schier unmöglich, nicht mit den äußerst freundlichen Locals ins Gespräch zu kommen.
Postkarten-Panorama im Jedi-Land
Auf unserem weiteren Weg Richtung Westen lauert hinter jeder der zahlreichen Kurven auf dem Slea Head Drive ein atemberaubendes Panorama. Die saftig grünen Wiesen mit grasenden Schafen, die typischen Steinmäuerchen als Straßenbegrenzung und die steil ins Meer abfallenden Felsklippen wirken wie eine perfekt inszenierte Kulisse aus einem Werbeprospekt. Erst ab Coumeenoole wird die Gegend wieder etwas flacher und der Nordatlantik schiebt eine Welle nach der anderen an die goldfarbenen Strände. Die landschaftliche Einzigartigkeit der Gegend wussten schon die Macher von Star Wars zu nutzen und drehten hier einige Szenen des achten Teils der Science Fiction-Saga namens „Die letzten Jedi“.
Letzte Session in Stradbally
Unser Aufenthalt neigt sich dem Ende zu, und unser persönliches Windorakel Finn lag goldrichtig: Beim Verlassen des Pubs am letzten Abend wehen uns schon die ersten Ausläufer des Sturmtiefs ins Gesicht. Während der Nacht legt der Wind nochmals zu, und zum Sonnenaufgang rollen bereits amtliche Klopfer um den Brandon Head. Das Frühstück fällt spärlich aus, nach einer langen Woche des Wartens zieht es uns alle aufs Wasser. Der Reihe nach klappern wir die Spots in der Bucht ab und entscheiden uns letztendlich für Stradbally, wo der Wind weniger böig und die Wellen etwas höher als in Gowlane sind. Am Strand fliegt der Sand waagrecht und wir bauen die kleinsten Kites auf, die wir dabeihaben. Die ersten Schläge sind ein fragwürdiges Vergnügen, denn der Sturm zerrt an unseren Kites wie ein Bullterrier am Hosenbein des Einbrechers. Aber nach der sportlichen Enthaltsamkeit der letzten Tage sind wir froh, überhaupt noch aufs Wasser zu kommen. Mit zunehmender Dauer unserer Session werden die Wellenabstände immer größer und die Faces deutlich sauberer, selbst der Wind scheint sich zu stabilisieren. Und so teilen wir uns ganz ohne Stress mit einigen Windsurfern den Spot. Nach etlichen Stunden auf dem Wasser schwinden so langsam unsere Kräfte und wir machen uns schweren Herzens auf den Weg in Richtung Flughafen.
Damit uns der Abschied nicht gar so schwerfällt, verabschiedet uns das irische Wetter wie es uns empfangen hat – mit Dauerregen.
Gut zu wissen:
Anreise: Ryan Air und Aer Lingus fliegen die Hauptstadt Dublin täglich an. Unter der Woche lassen sich für unter 100 Euro hin und zurück (ohne Gepäck) noch echte Schnäppchen machen. Die Fahrt nach Dingle dauert 3-4 Stunden. Je nach Wohnort und Saison sollte man auch die Verfügbarkeit von Flügen nach Cork oder Shannon checken.
Unterkunft: All-Inclusive-Jünger und Wellness-Fans werden in der Brandon Bay nicht fündig. En masse gibt es dafür private Ferienwohnungen oder Bed & Breakfast-Unterkünfte. Erste Anlaufstelle ist Marilyn, die Chefin vom Pub Spillanes in Fahamore. Sie vermietet schräg gegenüber vom Pub zwei Apartments mit dem vermutlich besten Blick über die Brandon Bay. Wenn nicht hat sie zumindest immer einen Tipp für eine Unterkunft in der Gegend.
Klima: Dank des Golfstroms und den meist südwestlichen Winden hat Irland ein ausgeglichenes ozeanisches Klima mit milden Wintern und einer durchschnittlichen Tagestemperatur von 8 Grad. Dreht der Wind auf nördliche Richtungen, liegen die Temperaturen schnell im unteren einstelligen Bereich. Auf Regen sollte man immer eingestellt sein; der Beiname „grüne Insel“ kommt nicht von ungefähr (s.a. Windstatistik für Brandon Bay bei Windguru).
Wind und Wellen: West-Irland ist in der kalten Jahreszeit der rohen Gewalt des Nordatlantiks ausgesetzt. Längere Windpausen sind äußerst selten und bei einem Fetch (Anlaufweg) von mehreren tausend Kilometern und einem Swellwinkel von beinahe 180 Grad lässt sich irgendwo auf der Dingle Halbinsel immer bewegtes Wasser finden.
Equipment: In Fahamore gibt es den Kite- und Windsurfshop Jamie Knox Watersports, der die nötigsten Kleinteile und Accessories auf Lager hat und für windlose Tage auch Wave-SUPs verleiht. Die Brandon Bay ist ganz klar ein Wellenrevier und ein Eldorado für Directional-Jünger. Twin-Tip-Fahrer sind hier genauso selten wie Bierverweigerer im Pub. Wegen des häufig wechselnden Wetters sollte man nicht an Kites sparen und die komplette Palette von 5-12 Quadratmetern im Boardbag haben.
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