Schlösser, Strände, Fish ‘n Chips: Die Britische Insel hat nicht nur landschaftlich, kulturell und kulinarisch Bemerkenswertes zu bieten – hier findet man auch Kite- und Surfbedingungen der Extraklasse. Welche Kite-Kronjuwelen unter dem Union Jack verborgen liegen, haben die Jungs der „Butter by the Fishes Crew“ in einem dreiwöchigen Wohnmobil-Roadtrip herausgefunden.
Text: Mads Wollesen / Fotos: Butter by the fishes
Thies, Paddy, Finn und mich beschlich im Spätsommer des letzten Jahres eine Art Uni-Life-Crisis: Kurz vor dem Uni-Abschluss wollten wir noch einmal zusammen auf Entdeckungsreise gehen, bevor jeder von uns mit einer Krawatte an irgendeinen Schreibtisch gefesselt wird. Wir wollten unbedingt etwas Neues entdecken, bevorzugt in Auto-Distanz. Patrick wirft schließlich die Britische Insel ein. Er war schon einmal mit seinem Bruder dort und überschlägt sich beinahe vor Begeisterung, als er von der Küstenregion im Südwesten erzählt. Wir anderen sind skeptisch: Mieses Wetter und noch mieseres Essen klingen nicht sehr verlockend. Doch dann kramt er einige Bilder heraus, die unsere Zweifel wegblasen: Die riesigen, menschenleeren Buchten mit ihren blitzsauberen Wellen sehen einfach zu verlockend aus und die Aussicht auf Kite- und Surf-Sessions lassen keinen anderen Entschluss zu: Queen Elizabeth, wir kommen! Dank der Unterstützung des Caravan Center Nord in Flensburg rollen wir zwei Wochen später in einem luxuriösen Camper los. Unser mobiles Heim ist bis unters Dach mit Surf- und Kite-Equipment sowie einer Armee-Ration Dosenbier vollgestopft. Das erste Ziel: der Fähranleger im gut 900 Kilometer entfernten Calais.
Nach nur 90 Minuten auf dem Ärmelkanal tauchen vor uns die imposanten Kreidefelsen von Dover am Horizont auf. Oben auf den Klippen thront ein Schloss – ein klischeeüberladenes Postkartenmotiv, aber für uns die richtige Einstimmung für diesen Trip. Wir lassen die Touri-Hotspots an der Südküste links liegen und steuern direkt in Richtung Cornwall. Für die 500 Kilometer nach Westen benötigen wir anstatt der angepeilten sechs Stunden satte neun. Das Konzept einer Autobahnausfahrt schien den englischen Straßenplanern wohl irgendwie suspekt; statdessen wird die Autobahn alle drei Kilometer von einem Kreisverkehr unterbrochen.
Lovely Watergate
Als wir am späten Nachmittag in Watergate Bay von einem perfekten Swell begrüßt werden, ist die lange Fahrt gleich vergessen. Wir parken unser Wohnmobil auf dem riesigen Parkplatz direkt am Spot, schälen uns in Rekordzeit in die Neos und surfen uns den Stress von der Seele, bis die Sonne nur noch als schmales, tiefrotes Band am Horizont leuchtet. Nach dieser sehr royalen Session stehen wir an der Rezeption des „Watergate Touring Park“ Campingplatzes und lassen uns von der netten Empfangsdame als „Darlings“ bezeichnen. Klingt ziemlich „lovely“. Die Briten haben einfach einen unwiderstehlich eigenen Charme. Auf dem großzügig angelegten Stellplatz wird der erste Tag mit einigen Feierabendbieren zu viel besiegelt.
So beginnt der nächste Morgen standesgemäß: Full English Breakfast ist ein Wundermittel gegen Kater. Das schmeckt gleich doppelt so gut, wenn man es im „The Beach Hut“ bestellt, denn das gemütliche Restaurant steht direkt am Strand. Dazu gesellt sich strahlender Sonneschein und endlich auch konstante fünfzehn Knoten Wind. Wir sind heiß wie Fish ‘n Chips-Fett und starten in die erste Kite-Session. Die Wellen hätte selbst Bob Ross nicht schöner malen können. Watergate Bay funktioniert bei fast allen Windrichtungen, die etwas West beinhalten. Bei Ebbe ist der Strand dekadent riesig. Von einem Ende der Bucht zum anderen bräuchte man zu Fuß locker 30 Minuten. Läuft die Flut auf, ist Vorsicht geboten, denn das Wasser kommt recht schnell und kann bei Hochwasser sogar bis ganz an die Klippen reichen. Wer Poseidon keine unfreiwilligen Opfergaben preisgeben möchte, parkt seine Bags zwei Stunden vor und nach Hochwasser möglichst weit an den Klippen. Ansonsten ist der Spot verführerisch wie Clotted Cream auf gebackenen Scones: sandiger, leicht abfallender Untergrund der, je nach Tide, circa 100 Meter Stehbereich bietet und saubere, sanft rollende Wellen zu einer abwechslungsreichen Spielwiese formt. Passen Windstärke, -richtung und Swell zusammen, sind hier richtige Big Days mit überkopfhohen Wellen möglich. Durch eine kleine Düse wirkt der Wind oben am Parkplatz manchmal stärker, als er unten tatsächlich ist, also nimmt man besser noch einen größeren Kite als Reserve mit an den Strand.
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Dumme Jungs
Als am zweiten Tag der Wind gegen Mittag einschläft, vertreiben wir uns die Zeit bis zum Sonnenuntergang auf dem Campingplatz-eigenen Skatepark. Da Skaten durstig macht, dauert es nicht lange, bis die erste Bierdose zischend geöffnet wird – Männerausflug. Bekanntermaßen hat die Kombination aus praller Sonne, Hopfensaft und jugendlichem Leichtsinn schon vielerlei dumme Ideen hervorgebracht, sodass wir uns gegen Abend zu neuen Frisuren inspiriert sahen. Paddy ist der Erste und bekommt eine Mönchstonsur verpasst. Als wir das Ergebnis unserer Kunst betrachten, beschließen wir, dass die Idee doch dämlich war und packen den Rasierer wieder weg. Pech für Patrick, der allerdings mit Freibier entschädigt wird.
The Bluff
Als der Wind nach zwei Tagen etwas gedreht hat, empfiehlt uns ein Local den Spot Gwithian, auch bekannt als „The Bluff“. Gwithian liegt circa 50 Kilometer südwestlich von Watergate Bay. Auch hier werden wir vom obligatorischen, weitläufigen Sandstrand mit schönen Wellen empfangen. Die Besonderheit an dem Spot ist eine Flussmündung, die neben den sauberen Wellen zusätzlich für perfektes Flachwasser sorgt. Wir parken vor der Düne auf dem großen Parkplatz und haben Glück: Hier ist der Wind etwas stärker, sodass wir perfekte Freestyle- und Wave-Bedingungen auskosten können.
Diese Kombination an einem Spot ist wirklich selten. Beste Sideshore-Bedingungen bekommt man hier bei Winden aus Nordost oder Südwest. Mehr aus Faulheit als aus Voraussicht deponieren wir auch hier unsere Sachen direkt an der Küste, was sich im Nachhinein als weise herausstellt. Denn der schmale Fluss, der dort im Meer mündet, ist über den Tag zu einem kräftigen Strom angeschwollen, sodass wir bei Flut fast bis zum Auto zurück kiten. Um dort Kiten zu dürfen, muss man eine Erlaubniskarte für zehn Pfund kaufen und eine gültige Kitelizenz inklusive Versicherung vorlegen. Ein kurzer Schnack mit den netten Locals spart uns aber das Ticket, da wir eh nur einen Tag bleiben.
Abends brechen wir auf und folgen der B3301 an der Küste entlang. Die Kulisse ist surreal schön: Nur knappe 15 Meter von der Steilküste entfernt, schlängelt sich die Straße an den steilen Klippen entlang und bietet einen unfassbaren Ausblick. Nach einigen Kilometern sehen wir auf einer Wiese ein paar Wohnwagen. Hier sollte eigentlich eine Modellflugzeug-Show stattfinden, doch die kleinen Maschinen können bei dem Wind nicht abheben. Glück für uns: Wir dürfen uns kostenfrei dazustellen und werden trotz Paddys absurder Frisur freundlich empfangen. Bei den Briten wird Gastfreundschaft eben richtig gelebt.
Kiten vor königlicher Kulisse
Am nächsten Morgen weckt uns ohrenbetäubendes Geknatter. Mit gut 200 km/h schießt die Miniatur-Ausgabe der Royal Air Force an unserem Camper vorbei. Also brechen wir früh in Richtung Marazion auf. Dort liegt auf einer kleinen Gezeiteninsel das St. Michaels Mount – ein Schloss mit einem Kite-Spot in unmittelbarer Nachbarschaft. Die malerische Kulisse lockt allerdings Heerscharen von Touristen an. Auf dem Wasser sehen wir schon die ersten Kites in einer Bucht circa 500 Meter entfernt. Wir wollen unbedingt vor dem Schloss kiten und ein paar Fotos schießen, also fragen wir nach und sind wieder einmal von der Freundlichkeit der Engländer überrascht. „Klar, aber passt auf. Ich habe keinen Bock euch zu retten“, lautet die Antwort des Lifeguards. Leider zeigt sich das Wetter an diesem Tag sehr englisch, weshalb die Foto-Ausbeute wenig ergiebig ist. Die Session vor dieser eindrucksvollen Kulisse bleibt dennoch unvergesslich. Der Hauptspot in Marazion ist abgesehen von der Parkplatz-Situation absolut empfehlenswert. Langer Sandstrand, relativ großer Stehbereich und hinter zwei größeren, deutlich sichtbaren Steinansammlungen findet man sogar spiegelglattes Wasser. Die Bedingungen in der restlichen Bucht sind moderat wellig und bieten vor allem viel Platz.
Nach einer Woche in Cornwall und einer Nacht im Surfer-Partyort Newquay beschließen wir, in den Norden nach Wales zu fahren. Unser Ziel ist Rhosneigr (gesprochen: Rosneigar), das wir aus den Videos von Sam Light und dem Tourstop der Kite Park League kennen. Auf Empfehlung von Sam fahren wir durch den Snowdonia Nationalpark, der nach seinen Worten eine „amazing scenery“ bieten soll. Wir werden nicht enttäuscht: Schroffe Felsen gehen in dichte Wälder über. Wir passieren holprige Straßen, Orte mit unaussprechlich langen Namen und Brücken, die so alt und marode aussehen, dass wir schon bei einer Querung mit dem Fahrrad Bedenken hätten. Ich sitze mit Schweißausbrüchen auf der Rückbank und kann nicht hinschauen, während Thies unser Mobil durch diese überwältigende Landschaft manövriert, in der die Zeit vor einigen hundert Jahren stehengeblieben zu sein scheint.
Wales-Vibe
In Rhosneigr gönnen wir uns erstmal einen Cappucino im Surfer Café. Das Wetter ist grau und regnerisch, aber man spürt sofort den besonderen Vibe des Ortes. Trotz der rauen Natur ist es hier unerklärlich gemütlich. Die Bucht knickt auf der Hälfte ab und formt im rechten Teil eine kleine zweite Bucht. In diesem Teil laufen kleine, sehr geordnete Wellen, die wir sofort in Angriff nehmen. Vor dem linken Teil liegen vorgelagert viele Steininseln, hinter denen man perfektes Flachwasser findet. Direkt am Ortsrand übernachtet man auf einem urigen Campingplatz sehr günstig. Wir bleiben drei Tage und erleben in dieser kurzen Zeit unterschiedlichste Bedingungen: Leichter Wind mit strahlendem Sonnenschein und Sturm mit über 35 Knoten und fetten Wellen. Rhosneigr ist einer dieser Spots, an denen jeder auf seine Kosten kommt. Zudem funktioniert er bei allen Windrichtungen von Nord, über West bis nach Süd.
Wir können uns von Rhosneigr kaum trennen, wollen aber noch mehr entdecken und fahren weiter nach Süden zu unserer letzten Station. Nach einer kurzen, eher mäßigen Session in Newborough fahren wir in den Walisischen Süden. Black Rock Sands erinnert etwas an St. Peter-Ording, da man auch hier mit dem Auto auf den Strand fahren kann. Allerdings muss man sich die über 200 Kites aus SPO wegdenken, denn an diesem Spot sind wir komplett allein. Wir fahren den Strand entlang nach links zur Kitezone. Ähnlich wie in Gwithian mündet ein Fluss ins Meer und die Wellen laufen verblüffend lang und sauber aus. Black Rock Sands funktioniert am besten bei südwestlichen Winden. Direkt hinter dem Strand kann man sich einen der vier Campingplätze aussuchen. Wir entscheiden uns für den Black Rock Sands Touring & Camping Park und wissen, dass wir richtig sind, als die Dame an der Rezeption auf die Frage nach hübschen Mädels antwortet: „Da haben wir leider keine, aber dafür ein paar Schafe auf der Weide.“ Offenbar eine Eigenart des Britischen Humors.
Zurück auf der Fähre in Dover gönnen wir uns noch ein letztes Revue-Bier. Die Insel hat genau das gehalten, was wir uns erwartet haben und uns doch immer wieder überrascht. Kitschig schöne Küstenlandschaften in Rosamunde-Pilcher-Ästhetik wechseln sich mit erstklassigen Kite- und Surfspots ab. Es wäre zu schade gewesen, nur an einem Ort zu bleiben und die wunderbare Landschaft mit ihren Klippen zwischen den malerischen Buchten zu verpassen. Wer gerne mit dem Wohnmobil reist, sollte Cornwall schonmal im Navi abspeichern.
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Good to know:
Kosten Überfahrt: Fähren von Calais oder Dünkirchen nach Dover gehören zu derselben Reedereis, sodass man sich die günstigere aussuchen kann. Überfahrt unbedingt vorher buchen, das schont die Reisekass. Vier Personen in einem Wohnmobil kosten zwischen 60 und 80 Euro pro Strecke kostet. Der Preis für PKWs liegt zwischen 50 und 70 Euro. Buchung: www.dfdsseaways.de
Beste Wind-Monate: Großbritannien ist ähnlich wie Deutschland: Es gibt keine vorherrschen Winde, die zu einer bestimmten Jahreszeit immer wehen. Man muss den Forecast im Auge behalten und die ein oder andere Fahrt in Kauf nehmen, dann erwischt man in der Regel immer irgendwo Wind. Im Herbst ist die Windwahrscheinlichkeit am höchsten, dafür kann wie bei uns das Wetter ungemütlich werden. Allerdings liegt die Wassertemperatur durch den Golfstrom immer etwas über der Nordsee.
Parken & Campen: Anders als in den Skandinavischen Ländern ist das Wildcampen in Großbritannien nicht gerne gesehen. Viele Parkplätze an den Spots sind kostenpflichtig und werden kontrolliert. Die hohe Campingplatz-Dichte ist ideal für einen Wohnmobil-Trip. Mit 15 bis 20 Euro pro Person und Nacht kann man kalkulieren. Während der Ferienzeit im Sommer sollte man in Cornwall vorher Plätze reservieren. Alternativ kann man häufig für ein paar Pfund auf Bauernhöfen über Nacht stehen – wenn man nett fragt. Die Einheimischen sind überaus freundlich.
Straßen & Verkehr: Wer mit dem Wohnmobil oder Wohnwagen anreist, sollte sich auf sehr enge Straßen und längere Fahrtzeiten einstellen. Dafür wird man auch mit wirklich grandiosen Landschaften belohnt.
Temperaturen: Die Temperaturen sind im Sommer mit Deutschland vergleichbar, das Wasser ist etwas wärmer. Ein langer 3/2er Neoprenanzug sollte mindestens mit dabei sein.
Der Film zur Geschichte:
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