Was macht ein passionierter Wassersportler, wenn er sich vor lauter Möglichkeiten nicht entscheiden kann? Ganz einfach: Er plant ein All-inclusive-Programm. Natürlich keines von der Stange, sondern ein exklusives All-in-One-Paket mit Kiten, Segeln, Stand-up Paddling und Baden. Die freie Kite-Autorin Almut Otto war für zwei Wochen auf einem Segelkatamaran im Tyrrhenischen Meer unterwegs. Ihr begeistertes Fazit: Mehr Meer geht kaum.
Text: Almut Otto / Fotos: Almut Otto, The Action Cruise
Suchtgefahr
„Hast du dir schon überlegt, ob du um eine Woche verlängerst?“, fragt mich Fede, der Skipper von The Action Cruise, unvermittelt. Es ist Freitag. Morgen um diese Zeit wollte ich im Flieger nach München sitzen. Ich merke, wie mich plötzlich ein Virus befällt. Nein! Bitte nicht jetzt! Erst zeigt sich ein Kribbeln in den Fingerspitzen, es folgt ein Flattern im Bauch und dann bin ich komplett infiziert. Schon ruft eine mir bekannte innere Stimme euphorisch: „Yeah! Kiten, was das Zeug hält, und Segeln bis zum Umfallen.“ Auch setzt sie gleich stichhaltige Argumente hinterher, die mir bisher noch gar in den Sinn kamen. Klar wird: Eine Verlängerung ist definitiv der beste Plan ever.
Gedacht, getan: Auf geht’s in die zweite Abenteuer-Runde: Segeln und Kiten zwischen Sardinien und Korsika. Ich freue mich auf die Sideshore-Bedingungen von Porto Pollo, auch wenn sie mitunter ziemlich böig sind. Und auf Le Saline, wo uns mit viel Glück eventuell eine kleine Welle kredenzt wird. Vielleicht schaffen wir es neben der karibisch anmutenden Île Piana im Südosten Korsikas in dieser Woche auch nach La Tonnara im Westen? Hier soll es bei Wind aus Nordwest eine richtig feine Welle geben. Oder wir finden Zeit und perfekte Windbedingungen, um ganz woanders neue Spots zu entdecken – wer weiß, ich will mich überraschen lassen.
Packroutine
Das erneute Bepacken des Boots – wir sind auf einem 46er-Nautitech-Fly, einem etwa 14 Meter langen und acht Meter breiten Segelkatamaran unterwegs – erscheint mir schon fast wie Routine. Erst legen wir das gesamte Kite-Material ins Trampolin. Dann werden die Gear-Bags, die während des Törns zur Aufbewahrung der Boards dienen, an der Reling befestigt. In den Backskisten des Vorschiffs kommen sämtliche Kites unter. Und die Anzüge sowie Trapeze verschwinden in den achterlichen Kastenbänken der Plicht. Fertig!
Nun noch das Essen verstauen, die Kabinen beziehen und schon geht’s mit neuen Gästen an Bord los. Ich bin gespannt. Letzte Woche waren neben der Crew, also dem Skipper Fede, Co-Skipper Giulio und Küchenchef Jurgita, noch Stefania, Alberto, Fefe und Marco aus Italien sowie Vincent aus der Schweiz an Bord. Perfekt, um mein stümperhaftes Italienisch zu verbessern. Mit dabei sind diesmal: Konsti und Philip – zwei Bayern aus der Schweiz. Beide entpuppen sich als Wiederholungstäter. Und auch Philip hatte letztes Jahr seinen Kite&Sail-Urlaub in Griechenland spontan verlängert. Des Weiteren sind noch Giulios Eltern und Eric, ein Freund der Crew, und natürlich meine Wenigkeit an Bord.
Porto Pollo: Starten und Landen am Boot
Die Nacht verbringen wir bei Porto Rotondo vor Anker. Same procedure as last week. Das heißt, nicht ganz: Zwar sind wir in beiden Wochen jeweils zwischen Sardiniens Nord- und Korsikas Südküste, also auf der wegen ihrer widrigen Bedingungen berühmt-berüchtigten Straße von Bonifacio, unterwegs. Doch die Reiseroute hängt von Wind, Wetter und anderen Begebenheiten ab. So ankerten wir beispielsweise in der ersten Woche zwei Nächte in Porto Pollo, weil das Kite-Gepäck meiner Kabinenkollegin Stefania erst mit 48 Stunden Flugverspätung ankam.
Wir nutzten den Ankerstopp, um das Starten und Landen am Boot zu lernen. Höchste Aufmerksamkeit widmen wir dabei den klarierten Leinen. Ist alles korrekt angeknüpft, ähnelt das Starten dem an Land, nur dass der Starthelfer nicht hin und hergehen kann, sondern im Heck des Katamarans steht. Das Anlanden am Boot ist sogar ohne fremde Hilfe möglich. Als Landeplatz dient ein Fender – also der schwimmende Puffer, der normalerweise die Bordwand schützt. Er ist mit einem Tau am Heck des Boots fixiert und mit einem Karabiner sowie einer Safety-Leash ausgestattet. So kann der Kiter, nachdem er den Schirm auf dem Wasser geparkt hat, den Karabiner mit dem Chicken Loop und die Leash mit dem Kite verbinden und selbigen vom Trapez lösen. Mit jedem Landemanöver stellt sich mehr Routine ein.
Traumspot Île Piana
Morgen wollen wir in Île Piana an Korsikas Südostküste kiten, für mich der schönste Spot während des ganzen Trips. Nicht nur, weil ich hier zum ersten Mal strapless auf einem Surfboard ein paar Micky-Maus-Wellen shredde, sondern auch aufgrund seines karibischen Flairs. Er bietet türkisblaues Wasser kombiniert mit einem fast menschenleeren Sandstrand und einer angenehmen Sandbank als Stehbereich. Darum kam es uns in der ersten Woche gar nicht so ungelegen, dass wir hier unfreiwillig etwas länger ankern mussten: Irgendwo in der Straße von Bonifacio hatte sich unser Backbordpropeller verabschiedet – und das bei oder vielleicht gerade aufgrund einer nagelneuen Jacht. Das kann bei Seitenwind im Hafen oder dem Verlust der zweiten Schraube auf hoher See ziemlich übel enden. Doch hier vor Anker geht alles easy: Zur Reparatur musste das Schiff nicht einmal gekrant werden. Der Ersatzpropeller, den wir einen Tag später erhalten, wird schnell tauchenderweise unter Wasser montiert.
Auch dürfen wir an diesem traumhaften Spot einen echten „Klassiker“ unter segelnden Kitern erleben: Um Höhe zu laufen, kreuzen wir zwischen mehreren Segeljachten auf. Das geht meistens gut ‒ aber eben nicht immer. Giulio übersieht, von der Sonne geblendet, eine dünne Antenne, die weit über den Mast des Nachbarboots herausragt. Schon hat sich der Kite verfangen und loopt wie wild umher. Kurzerhand verabschiedet sich Giulio vom Material und sammelt schnell alle scheinbar für einen solchen Fall geeigneten Rettungsmittel, die wir an Bord haben, zusammen: einen Bootshaken, einen Bootsstuhl und ein Messer. Nach ein paar spannenden Fehlversuchen, den Kite per Bootshaken einzufangen, schafft er es schließlich, in den Masttopp zu klettern und den Kite zu befreien. Zum Glück sind Mann und Material sowie das Boot unbeschädigt. Und der fremde Skipper steckt die Aktion gelassen weg – es war offensichtlich nicht das erste Mal, dass er das erlebte.
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Der Reiz von Kite, Sail & mehr Meer
Der Reiz eines Kite-Urlaubs mit Segelboot ist: Näher auf Tuchfühlung mit den Elementen kann man kaum leben. Wir sind Tag und Nacht auf dem Wasser – entweder in einer Bucht vor Anker oder unter Segel auf dem Weg zum nächsten Kite-Spot. Und dann gibt es nichts Schöneres, als entspannt im Trampolin zu liegen und dabei lautlos mit der Kraft des Windes sowie einem Antrieb von 69 Quadratmetern Großsegel und 38 Quadratmetern Fock dahinzugleiten – wie einst Kolumbus auf Entdeckungsreise. Denn manchmal fahren wir an Spots, die vermutlich noch nie vorher einen Kite gesehen haben. Wir ankern zwischen den Maddalenen-Inseln Razzoli und Santa Maria. Um uns ragen nur schroffe Felsen aus dem Wasser. Deshalb lasse ich zunächst gerne den Jungs den Vortritt, bevor ich mich aufs Wasser traue. Mein Mut wird schnell belohnt: Die Inseln überzeugen nicht nur durch ihren Düseneffekt, sondern auch durch herrliche Sprungrampen, die sich hier aufbauen. Noch am gleichen Tag erkunden wir den nächsten jungfräulichen Spot: Im Norden der Hauptinsel La Maddalena lockt wieder ein felsiges Revier mit türkisgrünem Wasser und ein paar kleinen Sandbuchten. Das macht nicht nur irre Spaß, sondern ist gleichzeitig eine atemberaubende Kulisse fürs Fotoshooting.
Das Leben an Bord schweißt zusammen. Ob im Salon, im Cockpit oder auf der Flybridge, der exklusiven Kommandobrücke unserer Jacht, irgendwo ist immer jemand zu einem Plausch aufgelegt. Gleichzeitig ist der Kat groß genug, dass er auch ruhige Plätze bietet. Obwohl wir uns alle vorher nicht kannten, ist die Stimmung an Bord in der ersten wie zweiten Woche immer bestens. Das liegt sicher daran, dass wir das gleiche Hobby teilen und stets dasselbe Ziel – nämlich Kiten ‒ vor Augen haben. Vielleicht ist es aber auch dem guten Essen zu verdanken, das uns Jurgita, eine litauische Influencerin, mindestens zweimal täglich frisch serviert.
Spaßprogramm an Flautentagen
Natürlich erleben wir in den insgesamt 14 Tagen auf See auch zwei Flautentage. Diese verbringen wir rund um Lavezzi. Das faszinierend schöne Naturschutzgebiet lädt mit seinem glasklaren Wasser zum Baden, Stand-up Paddling und Schnorcheln ein. Klar: Wer in Korsika unterwegs ist, besucht definitiv auch Bonifacio. Besonders beeindruckend ist die Anreise von See aus. Schon von Weitem sind die ausgewaschenen und vom Wind geformten weißen Kalksteinfelsen zu sehen. Nicht weniger atemberaubend ist die Einfahrt in den fjordartigen Naturhafen. Hier tummeln sich die Reichen und Schönen mit ihren Superjachten – und wir. Doch als wir an Land festmachen, erscheint uns die Stadt verhalten, als wäre sie in einen Schleier aus Besorgnis gehüllt. Der Grund: Am Morgen wurde ein Fischer, der 2016 aufgrund eines Erpressungsdelikts verurteilt worden war, im Hafen erschossen. Dies war in sechs Monaten der vierte Mord auf dem französischen Eiland. Nichtsdestotrotz: Wir machen unseren Landgang, bewundern die Altstadt, das Genueser Tor sowie die Treppe des Königs von Aragón und gönnen uns danach ein ausgiebiges Mahl im „Kissing Pigs“ am Hafen.
Insgesamt legen wir in den zwei Wochen knapp 300 Seemeilen zurück. Getrieben vom Wind und ausgiebigen Kite- und Segelspaß könnte es gerne ewig so weitergehen. Und schon ertappe ich mich dabei, wie ich noch an Bord über den nächsten Törn sinniere. Könnte ich in Griechenland wieder dabei sein? Der Trip startet in zwei Wochen von Athen nach Paros. Warum eigentlich nicht? Doch innerhalb des Bruchteils einer Sekunde werde ich kurz vor der Heimreise unsanft in die Realität zurückgeholt. Ein falscher Move und ich breche mir eine Rippe. Shit happens! Statt Kiten heißt es also demnächst Homeoffice. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben: Dann geht’s eben im Winter auf die Grenadinen. Nicht die schlechteste Option, finde ich zumindest.
Gut zu wissen:
Kite-Saison:
April bis Oktober
Anreise:
Per Flugzeug z.B. ab München nach Olbia mit Condor, Lufthansa, Eurowings
Mit der Fähre ab Genua, Civitavecchia, Piombino oder Livorno nach Olbia mit Sardinia Ferries (www.sardiniaferries.ch), Mobylines (www.mobylines.de), Tirrenia (www.tirrenia.de), GNV (www.gnv.it)
Reiseroute:
Olbia – Porto Pollo – Lavezzi – Bonifacio – Île Piana – Le Saline – Olbia – Porto Rotondo – Île Piana – Porto Liscia – Isola Spargi – Porto Pollo – Lavezzi – Bonifacio – Razzoli – Palau – Lavezzi – Île Piana – Tavola – Le Saline – Olbia
Wind:
Die Route wird von unterschiedlichen Windsystemen belüftet: Poniente (West), Mistral (Nordwest), Tramontana (Nord), Gregale (Nordost), Levante (Ost), Scirocco (Südost), Mezzogiorno (Süd), Libeccio (Südwest).
Sehenswertes:
Die etwa 12 Kilometer breite und 70 Meter tiefe Straße von Bonifacio liegt zwischen Sardinien und Korsika. Sie ist bei Seefahrern aufgrund ihrer widrigen Bedingungen berüchtigt. Seit 2011 gilt sie als Zone Maritime Particulièrement Vulnérable (ZMPV), also als besonders gefährdetes und schützenswertes Meeresgebiet: In der Meerenge sollen bis zu 1.745 Tierarten leben.
Die Hafenstadt Bonifacio wurde offiziell 828 vom Grafen Bonifacio II. gegründet. Ihre mittelalterliche Ville Haute liegt spektakulär auf einem 70 Meter hohen Kalksteinfelsen. Im Laufe der Zeit entstand um die oft umkämpfte Stadt eine Festung, die bis zum Jahr 1854 nur über das Genueser Tor zu begehen war. Attraktion: die Treppe des Königs von Aragón – 187 mit einer Neigung von 45 Grad in den Kalkstein gehauene Stufen.
Das Naturschutzgebiet Lavezzi formen etwa 100 kleine Inseln, von denen nur Lavezzi, Cavallo und Piana betreten werden dürfen. Traurige Berühmtheit erlangte das französische Archipel durch das tragische Schiffsunglück der Fregatte „Sémillante“, bei dem 1855 insgesamt 702 Mann ums Leben kamen. Die Îles Lavezzi sind bekannt für ihre exotische Flora und Fauna. So sollen hier u.a. seltene Korallenmöwen, Skorpionfische, aber auch Thunfischschwärme zu sehen sein.
Das Naturschutzgebiet des Maddalena-Archipels besteht aus etwa 62 Inseln. Die größeren Inseln sind La Maddalena, Caprera, Santo Stefano, Spargi, Budelli, Santa Maria und Razzoli. Besonderheit: Zwischen den vielen Felsen liegen wunderschöne Sandstrände.
Kite-Spots:
Sardinien Nord: u.a. Le Saline, Caprera, Porto Pollo, Valledoria
Korsika Süd: u.a. Île Piana, Santa Manza, La Tonnara
Kite&Sail-Anbieter:
The Action Cruise (www.theactioncruise.com)
Segelkatamaran Bali 41, Nautitech 46 Fly; z.B. Sardinien regulär: 1.550 €
(800 € im Salon), auch: Paros; Grenadinen, Antigua,
Avid Kiteboarding/Join the Crew (www.avidkiteboarding.de)
Segelkatamaran Nautitech 40, Bali 40; z.B. Sardinien ca. 750 €, auch: Paros, Grenadinen,
Kite Adventure (www.kiteadventure.de)
Segelkatamaran Helia 44, derzeit: Grenadinen,
Kitecity (www.kitecity.de)
Fahrtensegler Jeanneau 45, Bavaria 37;
z.B. Sardinien ab 600 €, Grenadinen (Lagoon 42), auch: Ägypten (Motorboot)
Kiteworldwide (www.kiteworldwide.com)
Karibik, Kanaren. Preise und Termine auf Anfrage
Charter & Sail UG: (www.charter-and-sail.de)
Ostsee, Mittelmeer, Karibik, Indischer Ozean, Pazifischer Ozean
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