Auf der Suche nach einsamen Kite-Spots, unberührter Natur und Wind haben die Studenten Felix Schulke und Max Grieger im Sommer ihre VW Bullis gepackt, um das nordöstlichste Ende Großbritanniens zu erkunden, bevor die britische Zugehörigkeit zu Europa endet (falls das irgendwann noch passiert). Fünf Wochen on the road erkundeten die beiden die wilde Schönheit der schottischen Küstenregionen und der Äußeren Hebriden – bis sie mit ihren beiden Bullis ineinanderkrachten und der Traum-Trip ein schmerzliches Ende fand.
Text & Fotos: Felix Schulke
Mitte Juli legt unsere Fähre in Dunkerque ab. Hinter dem Ärmelkanal erwarten uns ab Dover 1.500 Kilometer Linksverkehr bis zu unserem Ziel im hohen Norden. Unsere beiden T4 Bullis sind bis übers Dach beladen mit Surfboards, Kite-Equipment und zugepflastert mit Solarzellen. Wir wollen so autark wie möglich sein. Fünf Wochen auf der Insel verheißen viele Abenteuer auf und neben dem Wasser.
Wir passieren den Lake District Nationalpark, bevor wir im schottischen Troon, eine Dreiviertelstunde außerhalb von Glasgow gelegen, den ersten Kite-Spot ansteuern. Zufällig treffen wir am Strand Grant, den Besitzer der ortsansässigen Kiteschule. Die Windvorhersage sieht leider mau aus, aber Grant ist zuversichtlich: „Morgen kommt guter Wind“, prophezeit der Local. Wir quatschen mit ihm über unseren Trip und er empfiehlt uns einen Strandparkplatz für die Nacht. Normalerweise würden wir eher nicht auf Plätzen übernachten, an denen dicke „Camping verboten“-Schilder hängen, aber Grant grinst uns an: „Dude, it’s Scotland. Nobody cares. It’s not England!“ Diesen Spruch hören wir in den nächsten Wochen noch häufiger. Und Grant sollte recht behalten, sowohl mit seiner Parkplatzempfehlung als auch mit seiner Windvorhersage. Am nächsten Tag genießen wir die erste Kite-Session unserer Reise in der riesigen Bucht mit dem weitläufigen Strand. Amüsiert bemerken wir die Hinweisschilder, die die Badegäste zur Rücksicht auf Kiter ermahnen sollen. Irgendwie verkehrte Welt, denken wir uns. Genauso verkehrt wie Max’ Shorty, der ihn bei den frischen Temperaturen schnell frösteln lässt. Wir freuen uns, dass Grant mit seiner Prognose richtig lag. Locals wissen eben doch mehr als jede Wetter- oder Wind-App auf dem Smartphone.
500 Meilen Küste
Wir nehmen Kurs auf Inverness. Dort beginnt und endet die gut 500 Meilen lange North Coast 500, eine bei Touristen beliebte Rundtour durch die schottischen Highlands und Küstenregionen Invernessshire, Ross and Cromarty, Sutherland und Caithness. Der „Telegraph“ nannte die Straße mal „Schottlands Route 66“. Statt auf dumpf blubbernden Harleys schüsseln wir mit unseren Bullis nach Sinclair’s Bay. Nach der mehrstündigen Fahrt über die kurvenreichen Straßen haben wir Be-we-gungs-mangel. Vor uns erstreckt sich ein langer Sandstrand. Doch viel wichtiger: Der Beachbreak schaufelt kleine, aber schöne Wellen an die Küste. Sofort schrauben wir die Finnen in unsere Surfboards, pellen uns in die Neos und hasten ins Wasser. Leider schwächelt der Wind, sodass es nicht die erhoffte Genuss-Session, sondern eher ein zäher Kampf wird. Wir beschließen den Tag bei Kerzenlicht und Wein und campen 30 Kilometer vom nordöstlichsten Punkt Großbritanniens. Noch bleiben wir von den Midges verschont, vor denen wir bisher so oft gewarnt wurden. Die Plage aus zwei Millimeter kleinen geflügelten Zwer-gen soll im Sommer über Schottland-Reisende herfallen wie ein Schwarm blutrünstiger Piranhas. Später werden wir erfahren, dass der Vergleich nicht so weit hergeholt ist.
Am nächsten Tag rollt der Bus der Surfschule aus dem nahe gelegenen Thurso, der Surfhauptstadt des Nordens, auf den Strandparkplatz neben dem Golfplatz. Max ist bereits im Wasser und hat die erste Welle ge-nommen, als mir die Surflehrerin er-zählt, dass wir verdammtes Glück hätten, denn solche Wellen wie heute hätten sie hier seit Wochen nicht gesehen. Wind ist leider nicht in Sicht, doch wir genießen die Surf-Session, bevor wir nach einem Abstecher zum Duncansby Head, dem nord-öst-lichs-ten Punkt des britischen Mainland, in Thurso unsere Surfwachs-Vorräte auffüllen. Das Wasser hier oben ist doch nicht so kalt wie erwartet und unser mitgebrachtes Wachs ist zu weich.
Zehn Tage Flaute – und fette Wellen
Wir fahren in westlicher Richtung die Küste entlang, passieren immer wieder malerische und menschenleere Buchten. Abwechselnd blicken wir auf das spiegelglatte Wasser und unsere Smartphones. Die Windvorhersage ist ernüchternd: Flaute für die nächsten zehn Tage. Doch am nächsten Morgen haben wir Glück. Die Nacht haben wir gut 200 Meter vom Meer entfernt auf einer Düne verbracht und werden von lautem Grollen geweckt. Dichter Nebel liegt in der nasskalten Morgenluft. Trotzdem fällt uns das Aufstehen leichter als sonst. Für Kaffee ist keine Zeit, wir schlüpfen in unsere Neos und laufen mit Surfboards unterm Arm zum Strand. Max bekommt die erste Welle und verschwindet sofort im Nebel. Nach gut 20 Minuten Blindflug bricht die Sonne durch und wir erhaschen erstmals einen Blick auf dieses Paradies: Eineinhalb Meter hohe Wellen laufen sauber in die Bucht, so gut wie französische Sommerwellen, aber wir sind komplett allein im Wasser! Ganze drei Tage toben wir uns hier aus. Das entschädigt für die Flaute, doch so langsam werden wir zappelig.
Einige Tage später entdecken wir endlich auf einer Wetterkarte weit draußen im Atlantik ein sich zusammenbrauendes Sturmtief mit direktem Kurs auf Nordeuropa. Mit etwas Glück könnte dieses Ungetüm Schottland volle Breitseite treffen. Sofort buchen wir eine Fähre zu den Western Isles, den Äußeren Hebriden, denn hier wird der Sturm als Erstes auf Land treffen. Und wir wollen mitten hinein.
Volle Breitseite – ein Sturm zieht aufn
Wieder fünf Tage später – wir sind inzwischen auf der Isle of Skye – lässt die große Sturmschlacht noch etwas auf sich warten. Wir vertreiben uns die Zeit beim Angeln. Mittlerweile haben wir auch schmerzliche Bekanntschaft mit den nervtötenden Midges gemacht. Doch man darf sich von den Biestern die Schottland-Reise nicht madig machen lassen, dafür ist das Land zu schön. Als wir im Süden der Isle of Skye unsere kleinen Reise-Angelruten auspacken, werden wir von den einheimischen Fischern spöttisch beäugt. Ob wir hoffentlich nur einen Haken an der Rute hätten, will einer von ihnen wissen. In diesem Moment schlägt mein vierfaches Makrelenvorfach mit Pilker schon 150 Meter vor dem Anleger ins Wasser. „Na gut, dann Petri Heil!“, denke ich mir und schon passiert es. Plötzlich rupft es gewaltig. Ich ziehe gleich vier dicke Makrelen aus dem Wasser. Die Locals gucken etwas verdutzt, freuen sich aber für uns. So geht es noch ein paar Mal und am Abend gibt es feinstes Makrelenfilet.
Wir tuckern in unseren Bussen weiter in Richtung Norden. Nahe der Skye Bridge könnte am nächsten Tag etwas Wind aus Norden ankommen. Die Windrichtung passt für Waterloo Beach. Es ist arschkalt, doch als wir über die Hügel laufen und den Sund zwischen Skye und dem Festland sehen, flippen wir aus: die ersten Schaumkronen seit 14 Tagen! Auf einer sumpfigen Kuhwiese bauen wir zuerst Zwölfer-Kites, danach Neuner auf. Der Wind legt kontinuierlich zu. Bei Flut ist der Einstieg trickreich, denn man muss zunächst in Luv ein Steinfeld und einige Algenkolonien passieren, um zwischen zwei kleine Inseln zu gelangen. Dort wird man bei Nordwind von feinstem Flachwasser belohnt. Der Wind bläst über eine 20 Meter lange und einen Meter hohe Steininsel mit einem kleinen Sandstrand. Als Anfänger geht man hier besser bei Ebbe aufs Wasser, denn dann weicht das Wasser weit zurück und man kann auf dem Sandstrand aufbauen und starten. Dann kreuzt man etwas weiter hoch zu einer weiteren Insel und hat auch dort noch ausreichend Wasser. Dieser Traum-Spot wird garniert durch das Panorama auf die umliegenden Berge der Isle of Skye.
Das Faszinierende in der Gegend ist, dass man hier so viele Kite-Spots entdecken kann, die vermutlich kein Mensch kennt oder an denen vielleicht noch niemand vor uns gekitet ist. Überall, wo es gut aussieht, kann man aufs Wasser gehen. Wie weit der eigene Entdeckergeist reicht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Wir haben Hunger auf Neues. Also halten wir auf dem Weg nach Portree an einer vielversprechend aussehenden Landzunge. Wir schultern unser Kite-Equipment und laufen los. Nach 20 Minuten Fußmarsch werden wir mit einer malerischen Kulisse und Wind für unsere Zwölfer belohnt. Und wir sind – mal wieder – mutterseelenallein auf dem Wasser.
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„It’s not a good morning“
Über Portree geht es weiter nach Uig. Von dort startet am Abend die Fähre nach Lochmaddy auf der Insel Uist, Teil des äußersten Inselgürtels. Danach kommt westlich lange nichts und irgendwann mal Neufundland. Für uns ist das hier „Neu-Kiteland“. Auf der Fähre lauschen wir dem Wetterbericht: „UK get’s hit by a storm for the next three days, we didn’t expect in this period of the year. There’s an October storm incoming“, warnte die Wetterfee. Die Locals verzogen die Gesichter, wir brachen in Jubel aus. „It’s not a good morning“, erklärt uns die Kassiererin im Supermarkt beim kurzen Small Talk über das Wetter. In den folgenden Tagen müssen wir uns noch häufiger erklären, warum wir das Wetter so abfeiern, während sich alle anderen in ihren Häusern verkriechen. Kiter haben sie hier offenbar noch nicht allzu oft gesehen. Wir finden einen Wohnmobilstellplatz direkt am Wasser und der Wind pfeift um unsere Bullis.
Die anderen Camper schauen uns aus ihren Wohnmobilen skeptisch zu, wie wir unsere Kites aufpumpen und gegen den böigen Wind ankämpfen. Rund zwei Kilometer den Strand aufwärts liegt eine kleine vorgelagerte Insel. Wir entscheiden uns aufzukreuzen. Dort angekommen werden wir von drei neugierigen Seehunden begrüßt, die um uns herum im Wasser toben und uns für sie sicher merkwürdig anmutende Gestalten furchtlos begutachten. Wir umrunden die Insel und fahren downwind zum Startpunkt zurück. Inzwischen ist der flache Strand überspült und es bilden sich herrlich flache Pools. Wir ziehen massiv überpowert noch einige Halsen mit fettem Spray in das spiegelglatte Wasser und erklären die Session für beendet.
Skurril geht es am nächsten Spot zu. Benbecula bietet einen Kontrast aus karibischer Optik und nahezu arktischen Temperaturen. Wir wollen trotzdem kiten. Der Spot liegt in Balivanich neben einem kleinen Flughafen. Drei Spaziergängerinnen sprechen uns an, dass um 15 Uhr ein Flugzeug käme und wir dann auf unsere Kites aufpassen müssten. Wir blicken uns etwas fragend an, aber denken uns erst mal nicht viel dabei. Um 14:30 Uhr rollt dann ein Land Rover der Feuerwehr über den Strand in unsere Richtung. Ein freundlicher Mann bittet uns, unsere Kites zu landen, da das Flugzeug im Anflug sei. Wir könnten wieder starten, wenn die Maschine nach kurzem Stopp wieder abgehoben sei. Und tatsächlich, eine halbe Stunde später rauscht ein kleines Passagierflugzeug in gefühlt 50 Metern Höhe über unsere Köpfe hinweg und setzt zur Landung an. Über die Vorwarnung des netten Feuerwehrmanns sind wir in dem Moment dann doch dankbar.
Jähes Ende der Reise durch Neu-Kiteland
Wir erkunden noch einige Tage die Äußeren Hebriden und ihre Schärenlandschaft. Immer wieder entdecken wir einsame Buchten und Priele, bauen spontan unsere Kites auf und genießen die Einsamkeit auf dem Wasser. Nur Seehunde zählen wir häufig zu unseren Begleitern. Sieben Tage Wind am Stück und kiten, wo es einem gerade gefällt – wir sind im Paradies. Dieses Paradies ist allerdings erfahrenen Kitern vorbehalten, denn geht etwas schief, ist man häufig auf sich allein gestellt. Rescue-Boote gibt es hier nicht, ebenso wenig wie Kite-Stationen. Doch genau diese Einsamkeit und das Freiheitsgefühl machen die Inseln zu so besonderen Orten.
Zurück auf dem schottischen Mainland nimmt unser Trip eine jähe Wendung. Auf regennasser Fahrbahn entscheidet sich ein Auto vor Max binnen Sekundenbruchteilen, plötzlich links abzubiegen. Max steigt in die Eisen, ich beginne hinter ihm zu rutschen, bis ich schließlich von hinten in seine Anhängerkupplung krache. Der Typ vor uns macht sich mit durchdrehenden Reifen aus dem Staub. Nach dem ersten Schock begutachten wir den Schaden. Bei Maxi ist das Massekabel der Zweitbatterie abgeraucht, mich hat es schlimmer erwischt. Die Front meines T4 ist ziemlich ramponiert. Mein Kühlwasser vermischt sich auf der Straße mit dem Regenwasser. Der ADAC ist bemüht, uns zu helfen, doch keine Werkstatt kann unsere Autos reparieren. Rücktransport ausgeschlossen, denn mein Bus ist ein wirtschaftlicher Totalschaden. Nach drei schlaflosen Nächten finden wir einen Privatmann, der einige alte T4 zum Wiederaufbauen in seinem Hof stehen hat und uns mit Ersatzteilen versorgt. Wir kaufen Epoxidharz und Kabelbinder im Baumarkt, leihen uns eine Flex und bringen die Autos notdürftig wieder in fahrbaren Zustand. Unser provisorischer Kühler hält gut, nur die Scheinwerfer leuchten überallhin, nur nicht auf die Straße.
Sechs anstrengende Stunden später rollen wir vom Hof – zurück in den Süden nach Dover, von wo uns die Fähre zurück aufs europäische Festland bringen wird. Der Kühler hält mit Müh und Not durch, sodass wir weitere drei Tage später tatsächlich das heimische Bremerhaven erreichen. Den Winter werden wir nutzen, um die Busse wieder flottzumachen. Und wer weiß, vielleicht geht es irgendwann wieder in Richtung Schottland. Die Reise war es auf jeden Fall wert.
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