Farbgewalt auf der Peloponnes

Amphitheater, Kalamata-Oliven und warmer Wind. Die Peloponnes steht touristisch im Schatten der prominenten Ägäis-Eilande, hat für Kitesurfer mit Entdeckerdrang von Frühjahr bis Spätherbst aber nicht nur jede Menge Wind zu bieten, sondern auch herausragende Flachwasserspots. 

TEXT: Youri Zoon

FOTOS: Orestis Zoumpos

Schroffe Küstenabschnitte, sanft ansteigende Olivenhaine und majestätisch aufragende Zypressensäulen. Die Peloponnes ist der südlichste Teil der Balkanhalbinsel und markiert westlich von Athen gelegen ein Sammelsurium an unentdeckten Kite-spots. Während prominente Inseln wie Naxos, Rhodos oder deren stürmische Schwester Karpathos schon seit Jahrzehnten im Fokus der Tourismusindustrie stehen, scheint dieser südwestliche Teil Griechenlands noch nahezu unberührt. Keine Hotelburgen, keine Strände, an denen Badegäste im Sardinendosenstil auf Tuchfühlung die Sonne genießen, und auch nach den im mediterranen Raum häufig zu findenden Tourismussünden sucht man vergebens. Sattgrüne Hochebenen, verschlafene Fischerdörfer und zahlreiche, verlässliche Spots für Kitesurfer prägen die traumhafte Szenerie auf der Peloponnes. 

Seit etlichen Jahren reise ich regelmäßig zum Kitesurfen nach Griechenland, insbesondere in den Norden der Peloponnes, denn diese Region hat etwas ganz Besonderes, ja, fast Magisches. Wahrscheinlich hat jeder zweite Kitesurfer bereits Berichte von den „neuen“ Kitespots Griechenlands gehört, die sich nicht in der südlichen Ägäis, sondern westlich von Athen erstrecken. Flachwasserpisten und konstanter, verlässlicher Wind sind die schlagenden Argumente, die mich Jahr für Jahr wiederkommen lassen, und das immer früher in der Saison. Besonders von Mai bis Mitte September ist an den Nord-, Ost- und Südküsten der Peloponnes mit Wind zu rechnen. Selbst die Wintermonate bieten keine schlechte Ausbeute, jedoch kommen sie nicht an die rund 90 Prozent Windwahrscheinlichkeit für mehr als vier Beaufort der -Sommermonate heran. Ein weiterer klarer Pluspunkt, der diese Region auch unter Profi–Kitern als Trainingsrevier populär gemacht hat, ist die leichte Erreichbarkeit. Flüge nach Athen sind aus dem übrigen Europa verhältnismäßig günstig zu bekommen. Gleichzeitig ist der Flughafen von Griechenlands Hauptstadt auch der nächstgelegene, um die nördlichen Spots der Peloponnes zu erkunden. Mietwagen sind in der Hauptsaison allerdings nicht ganz günstig. Wer ein Campingfahrzeug besitzt, spart sich Mietwagen, Flug und Hotel und muss auch nicht die gesamte Tour von Mitteleuropa in den Süden der Balkanhalbinsel auf der Straße absolvieren. Es existieren beispielsweise regelmäßige Fährverbindungen von Ancona oder Venedig nach Patras. Wer diese Variante wählt, ist auf jeden Fall entspannter unterwegs als all jene, deren Route entlang der Adriaküste über Kroatien, Montenegro und Albanien führt. 

Der genialste Spot der Region ist Cape Drepano, etwa zwei Autostunden westlich von Athen, in der direkten Nachbarschaft von Patras gelegen. In Kennerkreisen auch als „The Spit“ bezeichnet, denn die mehrere Hundert Meter in das Meer hinausragende Landzunge aus Kies macht diesen Ort für Kitesurfer so besonders. In Lee finden sie spiegelglattes Wasser, über das der Wind gern mit 20 Knoten plus hinwegfegt. Ein kleines, europäisches Kite-Paradies. Von den Kokosnüssen, Palmen und Caipirinhas abgesehen die perfekte europäische Antwort auf Brasiliens Nordosten. Optimal läuft dieser Spot bei östlichen oder westli- chen Winden. Ganz egal von welcher Seite der Wind kommt, eine Seite der Landzunge hält immer Laborbedingungen für Freestyler bereit, während ungeübte Kiter auf der Luvseite der Landzunge bleiben sollten, denn ein Stehbereich existiert nicht. Bedingt durch die Lage zwischen zwei großen Landmassen profitiert Cape Drepano bei Ost- und bei Westwind von einem markanten Düseneffekt. Hinzu -kommen thermische Verstärkungen. Der Westwind baut sich üblicherweise zwischen 11 und 12 Uhr auf, wird in den Nachmittagsstunden stärker und feuert dann bis Sonnenuntergang. Wer seine Sahneseite mit dem rechten Fuß vorn hat, kommt an solchen Tag voll auf seine Kosten. 

Bläst der Wind dagegen aus östlicher Richtung, kommen Regular-Fahrer in den Genuss von perfektem Flachwasser. Dann ist allerdings frühes Aufstehen angesagt. Während der Westwind in Cape Drepano langschläferfreundlich ist, nimmt der -Ostwind meist schon um die Mittagszeit herum ab. Ob Ost oder West, wer sich auf die tatsächlichen Vorhersagewerte der gängigen Wetterdienste verlässt, wird etliche gute Stunden verpassen. Denn weder der thermische noch der Düseneffekt tauchen in den Prognosen von Windfinder, Windguru und Co. auf. Sind mindestens zehn Knoten aus Ost oder West angesagt, lohnt sich der Weg an den Spot an sonnigen, warmen Tagen in der Regel schon. Es gilt also, eher die Windrichtung und die Großwetterlage als die tatsächliche Windgeschwindigkeit im Auge zu behalten. 

Wildes Campen wird hier geduldet, es existiert allerdings ebenfalls ein Campingplatz in knapp 20 Kilometern Entfernung. Auch wenn der Blick auf die Rion-Antirion-Brücke und den kleinen Leuchtturm am Fuße der Landzunge positiv hervorzuheben ist, kann die Umgebung – eingerahmt von einer Zementfabrik – nicht unbedingt als pittoresk bezeichnet werden. Durch die exzellenten Bedingungen ist Cape Drepano dennoch unter Wassersportlern extrem beliebt. Mittlerweile existieren auch einige mobile Kiteschulen, die hier Unterricht anbieten. 

Wer nicht mit mobiler Unterkunft unterwegs ist, sollte sich für die Übernachtung in Richtung Patras orientieren. Mit knapp über 200.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Griechenlands und eine ziemlich entspannte Metropole mit vielen Studenten und heiterer Grundstimmung. Es ist ein Genuss, sich durch die verwinkelten Gassen treiben zu lassen, wo es noch ein türkisches Hamam gibt, prächtige Belle-Époque-Villen und Jugendstil-Paläste. Die kunstvollen Brunnen und das Apollon-Theater an der zentralen Platia Georgiou lassen Pariser Atmosphäre aufkommen. Patras ist eine der griechischen Städte, die niemals schläft. Wenn die Nacht anbricht, verwandeln sich die Straßen der Stadt in eine reine Bühne der Unterhaltung und die zahlreichen Bars und kleinen Diskotheken werden zum Leben erweckt. Patras ist zudem in ganz Griechenland und über die Landesgrenzen hinaus für seinen Karneval bekannt. Jedes Jahr steht die Stadt vom 17. Februar bis Rosenmontag Kopf. Der Höhepunkt findet am letzten Wochenende des Karnevals statt, wenn sich Tausende Besucher zu einer riesigen Parade mit Wagen und Tanzgruppen für die rituelle Verbrennung des Karneval–Königs treffen. 

Natürlich hält die Peloponnes noch unzählige weitere, geniale Kitespots bereit. Da mein letzter Besuch im März lag und der Wind in den ersten Tagen des Aufenthalts eher dürftig ausfiel, entschied ich mich gemeinsam mit dem Fotografen Orestis Zoumpos eine kleine Rundtour zu fahren. Gerade Ausflüge in den Süden der Halbinsel sind sehr zu empfehlen, schon allein, um die außergewöhnliche Landschaft zu erkunden. Jede noch so unscheinbare Abzweigung birgt einen kleinen Schatz. Ein versteckter Wasserfall, eine uralte byzantinische Kapelle, oder eine verschlafene Bucht, in der gerade Hummer gegrillt wird. Nur wenn man sich auf der Peloponnes treiben lässt, wird man eine tatsächliche Vorstellung von der Faszination dieser Halbinsel bekommen. Und genau das haben wir getan. 

Wer einen vergleichbar genialen Flachwasserspot wie Cape Drepano sucht, dem kann ich Tsimari in einer sehr abgeschiedenen Region rund 90 Kilometer Richtung Nordwesten von Patras ans Herz legen. Nördlich der unbewohnten Insel Oxia erstreckt sich hier von Norden nach Süden eine Landzunge in das Ionische Meer und gibt bei gutem Wetter den Blick auf die hohen Gipfel der vorgelagerten Insel Kefalonia frei. Der nächste Ort ist Dioni, etwa 20 Minuten über unbefestigte Straßen entfernt gelegen. Aber auch Tsimari lässt sich für die Navigation mithilfe von Google Maps finden. An diesem Ort existieren zahllose Sandbänke mit Schilfgürteln, die für Flachwasserbedingungen der Extraklasse sorgen. Mit dem Auto sind es rund anderthalb Stunden von Cape Drepano nach Tsimari und die sollte man auch für nach der Session wieder einplanen, denn es gibt keine Unterkünfte für Touristen in der Umgebung. Auch hier sind Camper im Vorteil, da Übernachtungen am Spot geduldet sind. Tsimari funktioniert am besten bei Wind aus westlichen Richtungen. Im Sommer kann dann auch an diesem Spot mit einer deutlichen thermischen Verstärkung ab Mittag gerechnet werden. Sind 15 Knoten aus West angesagt, werden daraus problemlos 25. Durch das weitreichend stehtiefe Wasser sind die Bedingungen selbst für Anfänger hervorragend geeignet. 

Wir wollten aber auch den Süden der Halbinsel entdecken und das war eine goldrichtige Entscheidung. Ganz oben auf meiner Liste stand dabei der Voidokilia-Beach, der an der Küste von Messinia versteckt ist und ein beeindruckendes Doppelleben führt. Sein goldener Sand und das Wechselspiel aus türkisblauem und tiefblauem Meer haben ihn mit seinem perfekten Halbkreis an die Spitze der Instagram-Bucket–Listen gebracht. Weniger bekannt ist, dass er auch eines der wichtigsten Feuchtgebiete Europas darstellt. Glaubt man dem Ruf, der diesem Strand vorauseilt, ist die Würde der Natur nirgendwo so beeindruckend wie am berühmten hufeisenförmigen Strand und der dazugehörigen Salzwasserlagune. Ich kann die Magie des Ortes auf jeden Fall in vollem Umfang bestätigen, zumal ich auch das Glück hatte, zumindest eine Leichtwindsession dort zu erleben. Kein anderer Mensch weit und breit. Das ist der Vorteil, wenn man in der Nebensaison auf der Peloponnes unterwegs ist. 

Das wohl bestgehütete Geheimnis der Peloponnes ist die kleine Insel Elafonisos im Süden, ein wahres Juwel und unsere nächste Station. Von Messinia kommend gibt es zwei mögliche Routen: über eine gut ausgebaute, mautpflichtige Schnellstraße oder eine alte, serpentinenreiche Straße, die von Kalamata bis Sparta führt. Natürlich entschieden wir uns für Variante 2, was uns ein starkes Roadtrip–Abenteuer bescherte. Alle paar Kilometer mussten wir stehenbleiben, um die faszinierende Szenerie mit der Drohne einzufangen. Schwindelfrei sollte man für diese Tour aber unbedingt sein. Die teils nur wenige Zentimeter neben der Straße verlaufende Abbruchkante geht in mehrere Hundert Meter tief abfallende Abgründe über. Ab Sparta erhöhte sich unsere Reisegeschwindigkeit dann wieder deutlich. Knappe zwei Stunden sind es von dort noch bis nach Pounta, wo die Fähre nach Elafonisos ablegt. Da die kleine Insel nur einen Steinwurf vom Festland entfernt ist, dauert die Überfahrt gerade mal acht Minuten und kostet einen Euro pro Passagier bzw. elf Euro pro Auto und 14,30 Euro für Wohnmobile. Das Highlight auf Elafonisos ist der wunderschöne Simos Beach. 

Die berühmte Doppelbucht gehört zu den schönsten Stränden Griechenland und ist allein schon die Anreise wert. Hier schmiegt sich glasklares, türkis leuchtendes Wasser an den feinen, oft rosafarbenen Sandstrand, der wie ein Damm zu einem vorgelagerten Eiland hinüberführt. Pures Karibikfeeling! 

Im Sommer ist der Simos Beach voll von Tagestouristen und Sonnenanbetern, in der Nebensaison jedoch hat man den Strand praktisch für sich allein, und genau das konnte ich bei Wind um 15 Knoten mit dem Foil voll auskosten. Für die Übernachtung ging es kurz vor Sonnenuntergang zurück nach Pounta, um am nächsten Tag die zweite Mission auf Elafonisos zu starten. Kitesurfen vor der kleinen Kirche am Hafeneingang. Für einige Stunden wurde ich zur Hauptattraktion der auf dem Pier versammelten Fischer und erneut gelangen uns atemberaubende Aufnahmen. 

Für die kommenden Tage entwickelte sich dann die Prognose für Drepano hervorragend, weshalb wir gen Norden aufbrachen. Ein sehr zu empfehlender Zwischenstopp auf dieser Route ist Monemvasia. Die auf einem gewaltigen monolithischen Felsen gelegene, mittelalterliche Kleinstadt verkörpert das in Reiseprospekten gern dargestellte Klischee von verträumter Griechenland-Romantik in Perfektion. Durch die bis heute fast vollständig intakte Stadtmauer und die exponierte Lage galt Monemvasia im byzantinischen Reich über Jahrhunderte als uneinnehmbare Festung. Erst 1715 gelang es den Türken, die Stadt zu überrennen. Einen Nachmittag und einen Abend kann man gut für einen Aufenthalt in -Monemvasi einplanen. 

Elafonisos und Messinia sind neben Cape Drepano allerdings nur zwei weitere von vielen Spots, die auf der Peloponnes entdeckt werden wollen. Wer die nötige Neugierde und Entdeckergeist mitbringt, findet hier noch jungfräuliche Reviere und trifft auf ein Volk, das an Gastfreundlichkeit kaum zu übertreffen ist. Mein nächster Trip in den Westen von Athen ist bereits fest eingeplant und garantiert komme ich in der Nebensaison wieder, denn dann ist die Magie der Peloponnes noch viel ausgeprägter als in den Sommermonaten.

Infos: Griechenlad

FAKTEN 

Währung: Euro 

Einwohner: 10,6 Mio. 

Zeitverschiebung: Plus eine Stunde Sommerzeit,
plus zwei Stunden Winterzeit 

Klima: Mediterran

Neoprenanzug: Shorty oder nur Boardshort im Sommer, im Winter langer Neoprenanzug 

ANREISE 

Griechenland gehört zu den beliebtesten Urlaubszielen der Deutschen, weshalb zahlreiche Fluggesellschaften Flüge aus der Bundesrepublik anbieten. Wer nach Drepano oder zu anderen Spots auf der Peloponnes will, steuert Athen an. Vorteil: Man ist nicht auf Ferienflieger beschränkt, es existieren auch etliche Linienverbindungen. Von dort sind es rund 150 Kilometer nach Drepano. 

WETTER 

Von April bis Oktober lacht die Sonne über Griechenland und Regenfälle sind in der Ägäis, aber auch in den Küstenbereichen der Peloponnes eine Seltenheit. Während die Lufttemperaturen im Frühjahr und Herbst zwischen 15 und 20 Grad liegen, steigt das Quecksilber in den Sommermonaten auch gern mal über die 30-Grad-Marke. Das Wasser erwärmt sich dann auf Temperaturen bis 25 Grad. Auch im Winter herrscht in den Küstenbereichen Griechenlands ein recht mildes Klima mit Temperaturen zwischen 9 und 14 Grad. In dieser Zeit regnet es allerdings häufig, Schneefall kommt dagegen nur sehr selten vor. 

WIND 

Der Meltemi ist in den Sommermonaten der vorherrschende Wind. Er weht von April bis Oktober als trockener Nordwest-, Nord- und Nordostwind durch die Ägäis. Nahe der Peloponnes ist der Meltemi etwas zahmer, wogegen er im südlichen Teil der Ägäis, insbesondere auf der Insel Karpathos, seine maximale Kraft entfaltet. Gelegentlich sorgt er hier über Wochen ohne Pause für Windstärken von fünf bis neun Beaufort. Sein Maximum erreicht er in den Monaten Juli und August, was die beste Reisezeit für Kitesurfer darstellt. Aber auch im Mai und Juni sowie im September und Oktober zeigt er eine hohe Verlässlichkeit, was zahlreichen Spots zu dieser Zeit eine 60- bis 70-prozentige Windwahrscheinlichkeit von über vier Beaufort beschert. Die vom Meltemi mitgeführte Luft trocknet beim Überqueren der griechischen und türkischen Gebirge stark aus, was über den Kykladen und den Küsten der Peloponnes fast den gesamten Sommer hindurch zu einem strahlend blauen Himmel führt.