Ulcinj hat sich vom Geheimtipp zu einer florierenden Kite-Destination gemausert. Doch Platzangst muss hier niemand haben: 14 km Sandstrand, nur wenige Kitestationen und eine hohe Windsicherheit klingen verlockend.
Bewegte Geschichte und vielversprechende Zukunft
Montenegro liegt etwas verschlafen an der Adriaküste. Als ehemaliger Teil Jugoslawiens wurde der Mini-Staat vom Krieg weitgehend verschont. Ungefähr so groß wie Schleswig-Holstein und mit nur halb so vielen Einwohnern wie München, kommt Montenegro auf gleich fünf Amtssprachen. Je nach Region wird Montenegrinisch, Serbisch, Bosnisch, Albanisch oder Kroatisch gesprochen. Trotz multiethnischer und multikultureller Bevölkerung scheint das Zusammenleben der Montenegriner friedlich zu gelingen. Die Bevölkerung beginnt erst allmählich, eine eigene nationale Identität zu entwickeln, denn das Land wurde erst 2006 unabhängig von Serbien. Seitdem tut sich einiges im Land der schwarzen Berge, das Beitrittskandidat zur Europäischen Union ist. Stärkste Einnahmequelle ist der Tourismus, und hier setzt man mittlerweile auch ganz gezielt auf Kiter. Langsam aber sicher krabbelt Montenegro auf der Bekanntheitsskala der Reiseländer nach oben. Mit der EU-Mitgliedschaft könnte das Land den Tourismus-Turbo zünden.
Windmotor im Hinterland
Wer die Windvorhersage oder Windstatistik für die Region betrachtet, wird nicht erahnen, dass hier einer der windsichersten Spots der Adria wartet. „Wir leben hier von der Thermik. Sobald die Sonne scheint, kannst Du locker zehn Knoten und mehr auf die Vorhersage draufrechnen“, erklärt uns Alex Korb, der seit über zehn Jahren regelmäßig in der Region unterwegs ist und seit Anbeginn des Sports in der Kite-Industrie arbeitet. Der Grund dafür liegt circa 60 km im Hinterland und nennt sich „Prokletije“, auch bekannt als Albanische Alpen. Das dunkle Gestein der hoch aufragenden Felswände wird durch die Sonne extrem schnell erwärmt, sodass sich hier schon bei geringer Sonneneinstrahlung eine stattliche Thermik entwickeln kann. Eine leichte Grundströmung aus West oder Nordwest unterstützt das ganze System, sodass man in Ulcinj hin und wieder für einen Thermikspot sehr kräftige 25 Knoten und mehr erwischen kann. Kann, aber nicht muss. Denn auch wenn die Windwahrscheinlichkeit gerade in den Frühlings- und Sommermonaten recht gut ist, sobald ein Tief über die Adria zieht und Wolken den Himmel eintrüben, kommt die Windmaschine ins Stottern.
Sehenswertes in der Gegend
Laut Alex läuft das Windspiel jeden Tag nach demselben Schema ab: Nachts bis zum frühen Morgen bläst der kühle Fallwind aus den Bergen aufs Meer hinaus. Das hat den praktischen Nebeneffekt, dass man sich im Sommer nachts die Klimaanlage sparen kann. Am frühen Vormittag herrscht erstmal komplette Flaute. Dann heißt es ausschlafen, gemütlich frühstücken und eine der zahlreichen Sehenswürdigkeiten in der Region besuchen. Die Altstadt auf der Klippe von Ulcinj ist wirklich sehenswert, darunter reihen sich schöne Cafés direkt am Wasser. Etwas nördlich die Küste entlang liegt eine malerische „Piraten-Bucht“ versteckt, von der aus man zu SUP-Touren in Felshöhlen starten kann. Auf dem Weg dorthin passiert man riesige Olivenhaine mit Bäumen, die dort schon seit über 1.000 Jahren stillschweigend der Welt beim Wandel zusehen. Wer gegen zwölf Uhr mittags an der Station eintrifft, spürt bereits, dass die Blätter des dichten, sattgrünen Waldes hinter dem Strand leicht rascheln. Der Wind baut sich in den ersten ein bis zwei Stunden sanft auf, sodass man entweder mit großen Leichtwindschirmen oder mit Foils starten kann. Dabei sollte man allerdings ein Auge auf den Horizont hinter sich werfen. Denn gegen ein Uhr nähert sich von dort eine gut sichtbare Windkante. Sobald die den Strand erreicht hat, steigen die Siebener bis Zwölfer Kites in die Luft.
Sandstrand soweit das Auge reicht
Das Wasser ist um die Mittagszeit noch spiegelglatt, da die nächtlichen Fallwinde wie Omas gutes Bügeleisen jede Falte aus dem edlen Wasser-Stoff streichen. Die Kombination aus Side- bis Side-Onshore-Bedingungen am offenen Meer mit Glattwasser und tüchtiger Windstärke ist relativ selten. Hier kann man gerade in den ersten Stunden am Hauptspot vor dem Laguna Center optimale Freestyle- und Speed-Bedingungen auskosten. Mit jeder Windstunde baut sich nach und nach dann eine kleiner Chop auf, der je nach Richtung sogar zu kleinen, aber brauchbaren Wellen heranwachsen kann. In der Regel ist Ulcinj aber eher ein Flachwasser-Spot und damit auch für Einsteiger geeignet. Die Sandbänke auf den ersten 150 m sortieren die Wellen bei stark auflandigem Wind ein wenig. Knapp bis dorthin erstreckt sich auch der Stehbereich. In der 14 km langen Bucht muss man sich keine Sorgen machen, bei einem Crash verloren zu gehen. Der schräg auflandige Wind befördert Havaristen früher oder später immer wieder zurück an den endlosen Sandstrand. Dennoch hält Laguna ein Rescue Boot bereit. Dass der Untergrund aus reinem Sand besteht und keine fiesen Steine unerkannt unter der Wasseroberfläche gierig nach den Finnen schnappen, erhöht die passive Sicherheit. Allerdings ist der Sand sehr dunkel, kann also im Sommer durch die Sonneneinstrahlung unangenehm heiß werden. Wer sich schnell die Fußsohlen verbrennt, trägt bei starker Sonne lieber dünne Neoprenschuhe oder Socken.
Lagunen-Spielplätze
Downwinder-Fans können ein paar Kilometer die Küste hinunterglühen, bis sie auf die Flussmündungen des Bojana treffen. Dort bilden sich an der nördlichen Flussmündung eine kleinere und an der südlicheren Flussmündung eine etwas größere Lagune, die auch bei kabbeligen Bedingungen auf dem offenen Meer immer noch feinstes Flachwasser bereithalten. Mit mehr als zehn Schirmen wird es auf den kleinen Lagunen aber etwas voll, also lieber in Kleingruppen dorthin kiten. Wer nicht wieder aufkreuzen möchte, lässt sich von der Station wieder zurück shutteln oder nimmt ein günstiges Taxi. Die Laguna Station erreicht man über einen rund einen Kilometer langen Schotterweg von der Küstenstraße aus Ulcinj in Richtung Süden. Vom dazugehörigen Hotel Laguna (vier Sterne und guter Standard) dauert der Transfer knapp zehn Minuten mit dem Auto. Die Station bietet eine Kite-Schule und Verleih, ein kleines Restaurant sowie gemütliche, überdachte Cabanas am Strand. Die Duschen werden mit qualitativ ausgezeichnetem Grundwasser gespeist, das in der Region durch einen großen Stausee im Hinterland reichlich vorhanden ist. Die üppige Vegetation ist dafür ein guter Indikator.
Gut zu wissen
Anreise: Von München aus sind es bis Ulcinj zwar nur rund 1.300 km, doch je weiter südlich man an der Adriaküste entlangfährt, desto kleiner werden die Straßen und desto langsamer der Verkehr. In Montenegro gibt es gar keine Autobahnen. Dafür bleibt mehr Zeit, die abwechslungsreiche Küstenlandschaft zu genießen. Seit Mai fliegt Montenegro Airlines zweimal wöchentlich München und Leipzig an. Dazu kommen die bereits bestehenden Verbindungen von Ryanair, Eurowings oder Wizz-Air mehrmals wöchentlich von verschiedenen deutschen Flughäfen. Mit rund 1,5 Flugstunden nach Podgorica oder Tivat eignet sich Montenegro sogar für Kurztrips übers lange Wochenende. Mietwägen bekommt man bereits ab 12 Euro pro Tag, wenn man ihn vorher bucht. Mittlerweile bieten alle gängigen Kite-Reiseveranstalter günstige Komplettpakete aus Flug, Unterkunft und Station. Transferzeit von den Flughäfen je nach Verkehrslage 1,5 Stunden.
Unterkunft: Wir haben uns im Hotel Laguna sehr wohl gefühlt. Wer im Womo oder Camper anreist, kommt günstig auf einem der Campingplätze in der direkten Umgebung unter, z.B. im Safari Beach & Camping.
Beste Wind-/Reisezeit: Die Saison in Ulcinj (sprich: „Ulzin“) startet meistens erst ab Mai. Wenn das Wetter im April bereits gut ist, lohnt sich auch ein spontaner Trip. Sobald die Sonne stark und lang genug scheint, baut sich auch die Thermik auf. Mai, Juni und September sind die besten Reise- und Windmonate. Im Juli und August kann es relativ voll werden, wobei sich die meisten Touristen in der Stadt und nicht am Strand aufhalten (s. auch Windstatistik für Ulcinj bei Windguru).
Restaurant-Tipp: Das Misko gehört zu Montenegros Spitzenrestaurants und serviert exzellenten Fisch. Die Preise sind für lokale Verhältnisse zwar gehoben, doch für den europäischen Geldbeutel sehr erschwinglich.
Buchung: Günstige Komplett-Angebote inklusive Flug, Hotel und Station findet man zum Beispiel bei kitereisen.com, Ola Sportreisen, Sun and Fun oder KBC Travel.
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