Für Kiter auch in der kalten Jahreshälfte à la bonne heure: die Halbinsel von Hyères in SüdfrankreichText: Ben Beholz; Fotos: Leo Drees
Als ich das letzte Mal Ende Februar zum Kitesurfen in Südfrankreich unterwegs war, wachten mein Kumpel Paul und ich am Strand in einem eingeschneiten Auto auf. Nachdem sich das Wetter einfach nicht bessern wollte, brachen wir unseren Frankreich-Trip notgedrungen ab. Doch solche Kälteperioden sind an der französischen Mittelmeerküste zwischen Marseille und Monaco glücklicherweise die Ausnahme. Hyères bietet Kitern den gesamten Winter über hervorragende Bedingungen und dazu angenehm milde Temperaturen, wenn nördlich der Alpen strenger Frost wütet. Obwohl Hyères deutlich weiter nördlich als Leucate, Gruissan und Co. liegt, ist es dort fast immer ein paar Grad wärmer als an der spanischen Grenze.
Schaut man sich dieses lauschige Fleckchen an der Côte d’Azur auf der Karte an, versteht man schnell, warum der Spot selbst im Winter die acht Stunden Autofahrt aus Süddeutschland wert ist. Vor der Kleinstadt Hyères auf dem französischen Festland ragt eine lange Halbinsel ins Mittelmeer, die über zwei Dämme mit dem Festland verbunden ist. Zwischen den Deichen ruhen flache Salzseen, die zwar verlockend aussehen, auf denen das Kiten jedoch verboten ist. Das eigentliche Kite-Potenzial der langen Halbinsel resultiert aus ihrer exponierten Nord-Süd-Lage. Die zwei Hauptwinde wehen entweder aus West oder Ost. Hier kommen sogar die östlichen Ausläufer des brachialen Mistral an, der aus dem Rhonedelta hinaus aufs Mittelmeer prescht und sich dann wie ein Fächer ausbreitet. Glücklicherweise liegt Hyères am äußersten Rand des Mistral-Einflussgebiets, sodass der Hammerwind hier abgeschwächt auf Land trifft.
Wind von beiden Seiten
Als Kiter hat man jeden Tag die Qual der Wahl zwischen einer etwas böigeren Flachwasserpiste bei ablandigem Wind auf der einen oder einer sorgenfreien Kite-Session bei konstantem auflandigen Wind auf der gegenüberliegenden Seite der Peninsula. Letzteres ist gerade für Anfänger und Einsteiger zu empfehlen. Denn gerät der Wind mal ins Stottern, wird man immer an den weitläufigen Sandstrand gespült, anstatt ins offene Mittelmeer zu treiben. Viele Locals scheint das Risiko nicht zu stören. Auf der ablandigen Seite kann man häufig den Freestylern beim Training zusehen – oder sich mit ihnen messen.
Nach einer mehrtägigen Ostwind-Lage kann sich auf der Ostseite der Halbinsel eine schöne kleine Welle aufbauen. Ein Directional sollte der geneigte Wellenschlitzer also unbedingt im Gepäck haben. An der Westseite am Spot L’Almanarre ist der Ostwind ebenfalls empfehlenswert. Die Flachwasserpiste ist kilometerlang und spiegelglatt, nur bläst es dann eben voll ablandig. Hier sollte man wissen, was man tut, um nicht abzutreiben. Da nur die Ostseite der Landzunge bebaut ist, kommt der Ostwind auf der Westseite etwas konstanter an.
Platz en masse
Wir hatten im letzten Winter leider ausschließlich Westwind erwischt. Längere Ostwind-Lagen sind seltener. Der Westwind weht deutlich häufiger und bringt meist einen wolkenlosen Himmel sowie warmes Wetter mit. Die Wellen auf der Westseite bei Almanarre laufen selten sauber und sind eher klein, versetzt mit etwas Chop. Ein Vorteil des Spots ist seine enorme Weitläufigkeit. An dem langen Strand findet jeder sein Plätzchen, selbst wenn es in der Hochsaison mal voller wird. Außerdem kann man direkt am Strand an der Straße parken. Sicherheits-Plus: Man muss dort keine Hindernisse in Lee fürchten. Hier kommen auch Einsteiger auf ihre Kosten. Zwar ist der Spot nur in Ufernähe stehtief, doch bei auflandigem Wind lassen sich Basics wie Starten und Höhelaufen gut trainieren.
An den Wochenenden können die Spots voller werden, was sich aber am Weststrand dank seiner enormen Länge gut verteilt. Am Oststrand geht es beengter zu. Der Strand ist zwar ebenfalls lang, aber extrem schmal. Zudem findet man dort nur wenige Ein- und Ausstiege. Unter der Woche geht es auf beiden Seiten entspannt zu, im Winter noch mehr als während der warmen Sommermonate. Offenbar haben viele Locals wenig Lust auf „Kälte“, wobei Kiter mit Wohnsitz nördlich der Alpen die milden Winter an der nördlichen Mittelmeerküste als sehr angenehm empfinden. Zehn bis 20 Grad im Herbst sind die Regel. Ein 5/4er-Neo sollte also im Gepäck nicht fehlen, doch muss man eben im Winter auch auf überraschende Kälteeinbrüche vorbereitet sein.
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Fette Windausbeute
Angenehm für Langschläfer: In den kalten Monaten baut sich der Westwind meist erst gegen zehn oder elf Uhr am Vormittag langsam auf und nimmt dann stetig zu, bis er gegen 17 Uhr seinen Peak erreicht hat und danach wieder abnimmt. Man kann sich also morgens in aller Ruhe sein Baguette und einen guten Kaffee schmecken lassen, bevor man zum Spot startet. Ein französisches Frühstück gehört in Hyères unbedingt zur Morgenroutine. Die thermische Verstärkung funktioniert hier extrem zuverlässig. Wir haben es häufig erlebt, dass trotz schlechter Windvorhersage guter und konstanter Wind für größere Kites aufkam. Unsere nicht repräsentative Privatstatistik des letzten Besuchs: Von 14 Tagen waren wir 13 Tage auf dem Wasser. Den einen Tag Windpause hatten unsere müden Knochen dann auch bitter nötig. Schaufelt der Mistral die Luftmassen aus der Camargue vorbei an Marseille und Toulon in Richtung Hyères, werden die kleinen Starkwind-Kites ausgepackt. Dann kann es gut und gerne mit über 30 Knoten aus Westnordwest ballern – perfekt für deftige Big-Air-Sessions.
Gut zu wissen
Beste Reisezeit
In der Nebensaison, also von November bis Mai (s.a. Windstatistik für Hyères bei Windguru).
Camping und Unterkünfte
Gerade im Winter ist wenig los auf der Halbinsel und man findet immer einen Platz für seinen Camper direkt am Strand. Das Campen auf dem langen Deich ist offiziell nicht erlaubt, wird aber unserer Erfahrung nach meist geduldet. Weniger nachsichtig werden die Franzosen erst ab Ende April, wenn die Saison startet und die teilweise recht teuren Campingplätze nach der Winterpause wieder öffnen. Wer es komfortabler mag und die lange Autofahrt scheut, kann nach Marseille, Toulon oder Nizza fliegen und von dort mit dem Mietwagen anreisen. Auf der Halbinsel findet man von November bis April günstige Unterkünfte, zum Beispiel die Résidence Pierre et Vacances La Pinède für 45 Euro pro Nacht und Appartement.
Kiteschule
Le Spot Kitecenter
Essen und Kultur
Viele Franzosen sprechen entweder nur ungern oder gar kein Englisch, das ist kein Klischee und ändert sich auch in der Umgebung von Hyères nicht. Wer wie ich während des Französischunterrichts meistens kiten war, muss sich auf teils amüsante Konversationen mit Händen und Füßen einstellen. Die Locals sind jedoch die wenig sprachbegabten Touristen gewohnt und zumeist überaus geduldig und hilfsbereit. In dem kleinen Dörfchen Giens am Ende der Halbinsel gibt es alles, was man zum Leben so braucht: einen Wochenmarkt, einen kleinen Supermarkt, eine Bäckerei und ein paar Restaurants mit traumhafter Aussicht. Dort liegt auch der malerische kleine Fischereihafen, in dem Fähren auf die vorgelagerte Insel ablegen.
Falls mal kein Wind weht
Neben Wassersport bietet die Halbinsel jede Menge Aktivitäten. Selbst über Weihnachten kann man – zumindest kurz – im Mittelmeer baden oder schnorcheln. In der felsigen Unterwasserlandschaft gibt es dank des klaren Wassers viel zu entdecken. Wer die Gegend lieber zu Fuß erkundet, kann Wanderungen mit beeindruckender Aussicht unternehmen. Von der Plage de la Madrague führt ein Weg einmal um den gesamten südwestlichen Inselteil herum bis nach Giens. Die Aussicht ist wunderschön und das Wasser kristallblau: genau die richtige Location für ein romantisches Dinner mit Wein und Baguette unterm Sternenhimmel, das vom Rauschen der Wellen begleitet wird.
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