Oktober 2018, es laufen die Olympischen Jugendspiele in Argentinien. Erstmals sind auch Kiter dabei. Alina Kornelli aus dem kleinen bayerischen Dorf Reichersbeuern bei Bad Tölz siegt souverän in fünf von sechs Vorläufen und geht als haushohe Favoritin in das Finale. Dann der Schock: Eine Konkurrentin, „eine Französin, deren Namen ich verdrängt habe“, platzt es aus Alina immer noch heraus, fährt sie an der Wendetonne einfach um. Ihre Goldmedaille war zum Greifen nah und doch wird sie „nur“ Vierte. Aber aus der unfairen Niederlage schöpfte sie auch Kraft. Mittlerweile scheint die fröhliche Bayerin den Ärger weggelächelt zu haben und hat sich neue Ziele gesetzt. 2019 trat sie bei den Kitesurf Masters in gleich drei Disziplinen an und belohnte sich mit dem Gesamtsieg im Slalom und dritten Plätzen im Freestyle und Foil-Racing bei den Damen. Nun richtet sie ihren Blick langsam auf die Olympischen Spiele. Welche Schwierigkeiten sich ihr im Trainingsalltag in den Weg stellen, wie sich ihr Leben in den letzten zwei Jahren als Kite-Profi verändert hat und welche Rolle ihr Vater für ihre Karriere spielt, verrät die 19-Jährige im Interview mit Axel Reese.
Fotos: Axel Reese, Lukas Stiller, Max Matissek
Alina, du sagst so oft: „Ich habe es schwer, überhaupt mal ans Wasser zu kommen.“ Wie beginnt man als 19-Jährige aus einem kleinen Dorf in Bayern eine Profi-Karriere im Kiten?
Von Anfang an war es für mich schwierig, zu Hause in Bayern geeignete Trainingsbedingungen zu finden. Deshalb musste ich immer schon viel Aufwand betreiben, um überhaupt aufs Wasser zu kommen. Dies bedeutet, viel zu reisen, dem Wind hinterherzufahren und erhöhte Kosten in Kauf zu nehmen, um erfolgreich zu sein.
Und vor drei Jahren musstest du dich in den Herbstferien dann zwischen dem Snowboarden und Kitesurfen entscheiden?
Ja. Ich war im Snowboardcross sehr aktiv und erfolgreich. Es macht mir heute noch viel Spaß, durch den Snowboard-Parcours zu fahren, und es wird ein großes Winterhobby bleiben. Kiten war immer ein Hobby für mich und ich habe die Pro-Kiter aus Deutschland bewundert mit ihren Sponsoren und all diesen Dingen. Ich habe es nie für möglich gehalten, in die Profi-Szene zu kommen, da ich in Bayern nicht die gleichen Trainingsbedingungen hatte. Doch dann hörte ich von den Olympischen Jugendspielen im Kiten – und nun stand ich vor der Wahl: im Snowboarden in den deutschen Kader und auf das Internat in Oberstdorf zu kommen oder beim Kiten an Wettkämpfen teilzunehmen. Sonne, Strand, Wind und das Kitesurfen haben mich dann doch mehr gereizt – außerdem landet man bei den Stürzen im Wasser und nicht auf dem vereisten Schnee.
Wie häufig kommst du überhaupt in Süddeutschland aufs Wasser, um zu trainieren? Gute Trainingsbedingungen sehen vermutlich anders aus.
Direkt bei uns auf den Seen war ich dieses Jahr zehnmal draußen. Man versucht, jedes Lüftchen mitzunehmen, und bei zwölf Knoten Wind im Durchschnitt reicht es gerade zum Foilen, solange der Wind nicht auf einmal komplett einbricht. Aber zum Freestylen sind die Bedingungen nicht wirklich geeignet. Außerdem liegt in unserer Region manchmal von November bis April Schnee.
Juckt es dich da nicht, einfach deine sieben Sachen zu packen und nach Fehmarn, Kiel oder Hamburg zu ziehen?
Klar reizt es einen, ans Meer zu ziehen und mit befreundeten Kitern zusammen aufs Wasser zu gehen. Es ist aber auch nicht leicht, hier alles aufzugeben und umzuziehen. Wenn dann würde ich lieber meine Sachen packen und Richtung Süden ziehen – was von der Entfernung gleich weit weg wäre, aber mir von den Spots noch um einiges mehr taugt.
Laut eigener Aussage warst du froh, vor den Kitesurf Masters Ende August in St. Peter-Ording Fehmarn wieder zu verlassen, nachdem du für eine Woche auf der Insel zum Trainieren warst. Warum?
Das darf man jetzt nicht falsch verstehen – Fehmarn hat super Spots zum Kiten, aber das Wetter war in der Woche so wechselhaft. Als ich meine Matte zum Foilen bei Sonne ausgebreitet hatte, fing es beim Starten schon an zu regnen. Da fahre ich das nächste Mal lieber die 1.000 Kilometer in Richtung Süden.
Dein Vater Dietmar unterstützt dich bei deinen Reisen. Wie groß ist sein Anteil an deinem Erfolg?
Ohne die Unterstützung meiner Eltern Dietmar und Sabine und der ganzen Familie würde es nicht funktionieren, so viel zu reisen. Ich habe aber zudem das Glück, in einer Partnerschaft mit VW Nutzfahrzeuge zu sein, die mir einen T6 California zur Verfügung stellen, mit dem ich superflexibel bin und alle Spots in Europa erreichen kann.
Als ehemaliger Profi-Windsurfer mit einer so großen Passion für Regatta-Material ist dein Vater genauso leidenschaftlich dabei und trainiert dich, hat Trimm- und Tuning-Tipps parat. Wie viel macht das Material beim Racing aus?
Letztes Jahr während der Olympischen Jugendspiele hätte sogar ich es nicht geglaubt, dass das Material und die Taktik so eine große Rolle spielen können. Beim Slalom und Racing kann er mir also auf jeden Fall immens weiterhelfen und mir Tipps aus seiner jahrelangen Regatta-Erfahrung mit auf den Weg geben.
Dein Vater hat mir stolz erzählt, dass du die Roll Tack auf dem Foilboard innerhalb von nur zwei Tagen gelernt hast. Hast du ein besonderes Bewegungstalent?
Kiten macht mir am meisten Spaß, wenn man Fortschritte macht und etwas Neues ausprobiert. Die Bewegung bei der Roll Tack gefällt mir und hat deshalb sehr schnell geklappt. Ich bin außerdem in vielen anderen Sportarten sehr aktiv – das hilft mir bestimmt viel beim Erlernen neuer Bewegungsabläufe.
Du bist häufig mit Florian Gruber, Deutschlands erfolgreichstem Racer, unterwegs. Seid ihr so etwas wie Sparringspartner?
Flo und ich kommen beide aus Bayern, haben gemeinsame Sponsoren wie VW Nutzfahrzeuge oder Levitaz Hydrofoils, reisen zu vielen gleichen Wettkampforten, verfolgen die gleichen Ziele und verstehen uns gut. Wir sind einfach viel zusammen unterwegs und kommen daher auch oft gemeinsam aufs Wasser.
Mit Verlaub, Flo Gruber ist auf dem Wasser schneller unterwegs als du. Stachelt dich das an?
Ja, Flo ist ein super Kiter, das pusht mich sehr. Dadurch ist man sehr motiviert, schnell besser zu werden und dazuzulernen. Es ist auf jeden Fall ein riesiger Vorteil, mit einem Top-Rider auf dem Wasser trainieren zu können. Ich kann von Glück sagen, dass er mich im Racing unterstützt.
Was kannst du im Training vom schnellsten deutschen Foil-Racer lernen?
Alles! Alles Wichtige: angefangen bei der Einstellung vom Material über Ehrgeiz im Sport bis hin zu der Technik, wie ich die Wende perfektioniere. Momentan konzentriere ich mich noch auf die Basics, aber wenn ich beispielsweise Fragen zu meiner Leinenlänge, Einstellungen des Foils oder Manövern habe, hilft er mir immer weiter. Das ist ein ganz wichtiger Baustein.
Flo wird als heißer Aspirant auf einen Startplatz im Team für die Olympischen Spiele gehandelt. Welche Chancen rechnest du dir aus, dabei sein zu können?
Bis zu den Olympischen Spielen sind es noch fünf Jahre, jeder Racer hat Olympia als großes Ziel vor Augen. Ich habe auf jeden Fall gute Chancen und die nötigen Voraussetzungen. Doch bis dahin kann noch so viel passieren. Ich werde sicher mein Bestes geben, um so weit zu kommen, wie es geht. Es ist ein schönes Ziel, aber nicht alles im Kiter-Leben. Ich werde mich nicht nur aufs Foilen konzentrieren, sondern möchte mich auch noch in den Disziplinen Freestyle und Wave weiterentwickeln.
Was braucht es für dich, um bei den Olympischen Spielen aufs Podium zu fahren?
Spaß, Motivation, Ehrgeiz, viele Trainingsstunden auf dem Wasser, Erfahrung und einen Top-Partner.
Das sind einige Punkte. Wie konsequent bist du bereit, diesen Weg zu gehen? Dabei würde dir ein Lebensmittelpunkt in Norddeutschland vermutlich deutlich mehr Trainingszeit ermöglichen.
Zurzeit richte ich mein Leben voll aufs Kiten aus. Ich versuche, so oft aufs Wasser zu kommen, wie es geht, hart zu trainieren und auf Wettkämpfe zu fahren, um so viel Erfahrung wie möglich zu sammeln. Aber momentan werde ich meinen Wohnort nicht in den Norden verlegen. Eher würde ich in den Süden, zeitweise vielleicht nach Spanien, ziehen.
Erhältst du eigentlich außer von deinen Sponsoren und Eltern finanzielle Unterstützung?
Leider gibt es vom deutschen Verband derzeit keine Unterstützung, dies soll sich erst ab 2021 nach Olympia 2020 in Tokio ändern. Bis dahin steht uns der Bayerische Segelverband mit einem Trainer inklusive Trainingseinheiten zur Seite.
Allein schon die Reisen zu den Regatten und Trainings sind kostenintensiv. Kannst du davon nun leben?
Hm, Kiten ist ein sehr teurer Sport. Es ist schon mal eine große Erleichterung, von den Sponsoren mit Material unterstützt zu werden. Allerdings muss ich mir zum Teil noch Kite-Material dazukaufen. Die Startgelder und Reisekosten werden auch nicht übernommen. Leider ist die finanzielle Unterstützung im Kitesurfen zu gering, sodass ich noch nicht vollständig davon leben kann.
Wie viele Kitesurfer schaffen das?
Jeder professionelle Kitesurfer versucht, mit seinen Sponsoren sein Leben zu finanzieren, aber nur die Top-Fahrer weltweit können davon leben. Die meisten Fahrer arbeiten nebenbei, sind in die Materialentwicklung eingebunden oder organisieren Projekte.
Über Alina Kornelli
Alina wird 2000 in München geboren. Vater Dietmar „Didi“ Kornelli ist zu dem Zeitpunkt einer der erfolgreichsten Profi-Windsurfer Deutschlands. In seiner Karriere wird er Deutscher Meister, Europameister und Weltmeister in der Serienboardklasse. Er ist eng in die Test- und Entwicklungsarbeit seines Boardsponsors F2 eingebunden, sodass er über Jahre hinweg auch Tochter Alina, Frau Sabine und Bruder Julian mit nach Kapstadt nimmt, wo sie sechs Monate pro Jahr leben, um dort Windsurfboard-Prototypen zu testen und sich für die Windsurfsaison vorzubereiten. 2004 dann der Umzug von München nach Reichersbeuern. Jedes Urlaubsziel wurde damals nach dem Wind ausgewählt. Alina lernt mit zehn Jahren das Windsurfen auf dem heimischen Walchensee, zwei Jahre später folgten die ersten Kite-Versuche. Papa Didi hatte schon Jahre vorher vom Windsurfen aufs Kiten umgesattelt. Auch im Winter beweist Alina Ehrgeiz und Talent und schafft es in den bayerischen Snowboardkader, wird 2015 in der Disziplin Snowboardcross Deutsche Jugendmeisterin und in den Folgejahren zweimal Bayerische Meisterin. 2017 startet Alina dann beim Kiten richtig durch, wurde überraschend Zweite im Slalom bei der EM im italienischen Gizzeria – die Initialzündung für ihre Profikarriere.
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