Der Kite-Sommer 2020 war anders als alle bisherigen. Da man ohnehin nichts richtig planen konnte, machte man einfach das Beste daraus: im Camper dem Wind hinterherfahren und die Spots im eigenen Land neu entdecken - zum Beispiel auf Rügen.
Keine 14 Tage dauerte es im Frühjahr und meine komplette Jahresplanung hatte sich in Rauch aufgelöst. Aus Euphorie wurde Existenzangst, auf Tatendrang folgte die Schockstarre. Eigentlich bin ich ein recht unbeschwertes Gemüt, doch jetzt sagten plötzlich immer mehr Menschen Dinge wie „in Zeiten von Corona“ oder sprachen von der „neuen Normalität“. Ich finde diese Formulierungen grauenhaft und das nicht nur, weil sie eine ungewisse Dauer des Problems implizieren. Das wird die Welt wohl noch eine Weile beschäftigen. Immerhin: In Deutschland sind wir noch verhältnismäßig glimpflich davongekommen, auch wenn die Lage zwischenzeitlich mehr als finster aussah. Trotz aller Sorgen, die einen neuerdings umtreiben: Diese verdammte Krise hatte auch ihre guten Seiten. Ich hatte plötzlich Zeit.
Normalerweise tingele ich im Frühsommer von einer Neuheitenpräsentation der Kite-Hersteller zur nächsten. In Zeiten von … klafften nun ein paar gähnende Lücken in meinem Kalender. Was macht man mit der unfreiwillig gewonnenen Zeit? Irgendwie den Kopf freikriegen wäre schön und die Sorgen zumindest für ein paar Tage gegen etwas eintauschen, das ich früher als Normalität bezeichnet hätte. Auf dem Wasser gelten ohnehin andere Abstandsregeln. Ich wollte wie früher mal wieder mit dem Camper irgendwo an der Küste dem Wind hinterherfahren. Dazu komme ich – trotz Job als Kite-Schreiberling – leider ohnehin viel zu selten.
Ende Juni versprach Windfinder eine ungewöhnlich lange Westwindperiode an der Ostsee und ich wollte zurück sein, bevor mit Ferienbeginn die Corona-Touristenhorden über die Küste herfallen. Malte, ein Kumpel aus Hamburg und Cabrinha-Teamfahrer, saß in Kurzarbeit gelangweilt daheim. Er hat in Rostock studiert und ist seitdem großer Meck-Pomm-Fan. Natürlich kennt er dort fast alle Kite-Spots und sagt sofort zu. Für uns beide ist der Trip eine willkommene Abwechslung vom Corona-Blues. Bevor es losgeht, treffen wir noch Max Petrat am Salzhaff. Mit Max wollte ich eine Geschichte für eine der nächsten Ausgaben produzieren, so lassen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Böen-Geballer am Saaler Bodden
Nach drei Tagen Shooting mit Max zwischen der Insel Poel und dem Darß freue ich mich, endlich mal wieder selbst aufs Wasser zu kommen. Es ist bereits früher Abend, und da wir ohnehin einen Stellplatz für die Nacht brauchen, steuern wir kurzerhand den Saaler Bodden an. Mein letzter Besuch liegt über zehn Jahre zurück, entsprechend gespannt bin ich, was sich dort mittlerweile getan hat. Beste Neuerung aus meiner Sicht: Man darf gegen Gebühr (neun Euro pro Nacht) mit dem Camper direkt auf der Wiese am Spot übernachten. Der Platz ist gut gefüllt, aber nicht überlaufen, trotz der guten Windvorhersage. Wir finden noch eine schöne Lücke für unsere Busse direkt vorne am Schilfgürtel und bauen in Rekordzeit die Kites auf. Der Wind kommt aus Südwesten und somit schräg über Land. Leider verwirbeln die kleinen Wälder am Ufer die Luft, sodass ziemlich grantige Böen in die eigentlich so schönen Glattwasserbuchten am Südende des Spots hämmern. Weiter nördlich wird der Wind konstanter, dafür das Wasser ungleich kabbeliger. Wir haben trotzdem Spaß. Wir schießen uns um die Wette in den Himmel, albern ausgelassen herum und kiten uns die Beine zu Brei, bis das Licht ausgeht. So hatte ich mir das vorgestellt! Und schon fühlt sich alles viel leichter an.
Von Südwest über West bis Nordost ist in Saal alles fahrbar. Richtig gut, weil konstant, bläst der Wind aus Westen. Das einzige Nadelöhr am Spot ist der schmale Einstieg. Bei auflandigem Wind muss man zu Fuß je nach Kite-Können 20 bis 100 Meter hinauslaufen, um sicher am Schilfgürtel vorbei hinein in den flachen Bodden zu gelangen. Dahinter wartet ein Stehrevier im XXL-Format. Entsprechend beliebt ist der Spot bei Ein- und Aufsteigern. Die beiden Kite-Schulen Supreme Surf und Kitemafia mit ihren zur Station umfunktionierten Doppeldeckerbussen kümmern sich um den Spot und bieten neben Schulung auch Verleih an.
Wassermangel in Wiek
Nach ein paar Bier und einer kurzen, windigen Nacht im wackelnden Hochdach meines Campingbusses brauche ich morgens einen extra starken Kaffee. Wir wollen früh los, um weiter nach Rügen zu fahren. Bis mittags ist für den Wieker Bodden guter Wind gemeldet. Das Flachwasserrevier hat für mich in gleich zweifacher Hinsicht eine besondere Bedeutung: Ich habe dort vor sehr vielen Jahren Kiten und vor nicht ganz so vielen Jahren Malte bei einem feuchtfröhlichen Testival kennen gelernt. Seit unserem ersten Treffen waren wir beide nicht mehr dort. Eineinhalb Stunden später rollen wir die kleine Straße am „Surf und Kite Camp“ in Wiek hinunter zum Bodden. Die Sonne strahlt und über dem Wasser wuseln unzählige Kites durch die Luft. Wären wir mal besser noch früher losgefahren. Nach kurzer Parkplatzsuche und ein paar Diskussionen mit tschechischen Wohnmobilisten, die Parkplätze mit Kites besetzen wie deutsche Pauschaltouristen ihre Sonnenliegen mit Handtüchern, können wir endlich loslegen.
Ich will die Bilder zügig in den Kasten bekommen und bin möglicherweise etwas zu ungeduldig. Eher beiläufig wundere ich mich über das auffällig flache Wasser. Ich kenne den Spot von früher nur knie- bis hüfttief, jetzt reicht das Wasser in Ufernähe gerade bis zum Knöchel. Bin ich denn so stark gewachsen? „Nach ein paar Tagen Südwest am Stück zieht es manchmal das Wasser aus dem Bodden“, erklärt mir Daniel von der Kiteschule Fly a Kite später. Er ist ein Urgestein der Rügener Kite-Szene und teilt sich in Wiek eine Wiese mit den Rügen Piraten. Malte, der bisher selten vor der Kamera stand, fühlt sich anscheinend unter Druck gesetzt. Ich bin zu sehr mit meinem Kamera-Equipment beschäftigt und merke es nicht. Sonst hätte ich ihn vielleicht besser gebrieft.
Malte weiß, dass ich gute Fotos brauche, und wird leichtsinnig. Obwohl nur wenige Zentimeter Wasser seine Finnen vom sandigen Boddenboden trennen, versucht er irgendwelche neuen Tricks, die augenfällig nicht zu seinem Standardrepertoire gehören. Ein Kickflip mit dem Twintip und irgendwas, das wie ein Vollgas-Bodydrag aussieht, bei dem er sich mit einer Hand auf dem Board abstützt. An sich bewundere ich ja kreative Kiter, doch wenn man solche Tricks nicht sicher hinstellt, ist das bei der Wassertiefe eher eine dämliche Idee. Das lernt auch Malte nach ein paar Minuten auf schmerzhafte Weise, als er mit der Ferse unglücklich auf einem Stein aufschlägt und sich einen babyfaustgroßen Bluterguss holt. Bevor der so richtig wehtut, schafft er es im zweiten Anlauf noch, sich mit seinem Board-Bodydrag-irgendwas-Trick auch noch den anderen Fuß zu ruinieren, indem er sich mittels Bodenkontakt die Haut auf dem Spann wegraspelt. Das war’s dann mit Kiten für ihn, also tauschen wir die Rollen. Zwar ist Malte ausgesprochener Foto-Rookie, doch nach einem kurzen Crashkurs mit einer fertig eingestellten Kamera überrascht er mich mit seinem guten Auge. Fortan nimmt er die Kamera und ich schäle mich in den Neo.
Seegras-Sense in Vaschvitz
Leider lag die Windvorhersage richtig: Der Wind verabschiedet sich gegen Mittag. Also überlege ich, wo wir in der Nähe die Chance auf eine gute Foil-Session hätten. Auf der Ostseeseite vor Hiddensee kommt der Westwind platt auflandig und es ist mühsam, durch die langen Buhnen hinauszukreuzen. Mir fällt ein, dass es in Vaschvitz eine tiefe Fahrrinne gibt. Von Wiek sind es nur ein paar Kilometer nach Süden bis zur Wittower Fähre, die uns samt Autos auf die andere Seite des Boddens bringt. Die „Rügen Piraten“ hatten auf dem Gelände des Wellness-Hotels in Vaschvitz mal eine zweite Kitestation, die allerdings wieder eingestellt wurde. Zwar findet man den Spot in den meisten Spot-Übersichten nicht, doch laut Infos einiger Locals sei Kiten dort nicht verboten. Nur sieht das Hotel es wohl nicht gern, wenn man deren Gelände zum Aufbau nutzt. Folgt man dem Feldweg hinter dem Hotel ein paar Hundert Meter, findet man einen alternativen Einstieg.
Allerdings gibt es dort weder Parkplatz noch Infrastruktur. Wir sind allein und ich bin heiß auf Foilen, also latsche ich mit einem Zwölfer samt Foil eine kleine Ewigkeit durch das flache Wasser. Irgendwie sah die Fahrrinne vom Ufer näher aus. Endlich ist das Wasser tief genug zum Starten. Ich foile ein paar Meter und bleibe prompt in einem dichten Seegrasfeld stecken. Scheißidee – den Gemüseteppich im Wasser hatte ich völlig vergessen. Genervt pule ich die triefenden Büschel von meinem Mast und trotte zurück. Feierabend.
Schlangen-Schreck in Suhrendorf
Föderalismus sei Dank hat jedes Bundesland Sonderregeln im Umgang mit Corona. Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel will keine Tagestouristen am Strand. Ich hatte das ehrlich gesagt gar nicht auf dem Schirm. Erst bei einem Plausch mit einem Einheimischen auf der Fähre kommt das Thema auf. Genau genommen sind wir in Zeiten von … also auch noch illegal unterwegs. Doch das Problem lässt sich schnell lösen: Um eine rechtskonforme Basis für die kommenden Tage zu haben, suchen wir uns einen Campingplatz. Die Wahl ist nahe liegend: Suhrendorf auf der vorgelagerten Insel Ummanz ist wohl einer der bei Kitern beliebtesten Campingplätze Deutschlands. Denn das Ostseecamp mit der Kiteschule „Ummaii“ befindet sich direkt an einem der größten und besten Stehreviere der Ostsee. Unter der Woche, kurz bevor die Sommerferien richtig losgehen, ist noch nicht so viel los, also bekommen wir problemlos einen Platz auf der Surferwiese. Ähnlich wie in Saal kann man hier mit dem Camper fast direkt am Wasser stehen. Zwar klingt ein Stellplatz in Pole-Position erst mal verlockend, doch zwischen Stoßstange und Wasserkante liegt die schmale Start- und Landezone. Und hier spielen sich Dramen im Fünf-Minuten-Rhythmus ab. Ich bin ohnehin immer wieder erstaunt, wie Menschen Kiten lernen, ohne zu wissen, wie man seinen Kite richtig startet. Das ist schlichtes Basiswissen und sollte in jedem Kitekurs so lange gepaukt werden, bis auch der letzte Trottel es mit verbundenen Augen kann! Gerade bei auflandigem Wind sollte man bei der Wahl des Parkplatzes die Möglichkeit einkalkulieren, dass der ein oder andere Kite im eigenen Fuhrpark detonieren könnte. Dennoch hat der Platz seinen Reiz, insbesondere wenn man mit dem Camper unterwegs ist und sein Zeug nicht weit schleppen möchte. Auch Tagesgäste können gegen Gebühr auf der Wiese parken.
Suhrendorf ist ein Flachwasser-Eldorado. Zwar muss man beim Einstieg eine kleine schmale, grasig-steinige Böschung überwinden, dahinter verläuft sich der Verkehr aber selbst bei Hochbetrieb, so weitläufig ist das Revier. Und das Beste: überall stehtiefes Wasser mit sandigem Boden und etwas Seegras, das selbst bei stärkerem Wind allzu große Kabbelbildung unterbindet. Deshalb kommen hier nicht nur Anfänger, sondern auch Flachwasserfetischisten und Freestyler auf ihre Kosten. Direkt nach der Session im Neo ein kühles Bier am Bus trinken zu können und nicht mehr Auto fahren zu müssen, das ist die Kirsche auf der Torte. Als ich vom Wasser komme, läuft mir Malte aufgeregt entgegen: „Alter, ich wäre gerade fast draufgegangen!“ Meine erste Vermutung: Irgendein Harakiri-Pilot hätte versucht, ihn beim Starten mit den Leinen zu massakrieren. Seine Story überrascht mich dann tatsächlich. Nachdem ich ihm vorher erklärt hatte, dass man sich mit der Kamera hinter einen Busch oder Strauch setzen kann, um mehr Tiefe ins Foto zu bekommen, sei er gerade um ein Haar auf eine Schlange getreten. Als angehender Vollblutfotograf hat er trotz Schreck noch schnell auf den Auslöser gedrückt, um einen Augenblick später mit einem Satz nach hinten panisch zu flüchten. Und tatsächlich, das Foto liefert den Beweis: Auf Rügen gibt es Kreuzottern. Zu zwei kaputten Füßen noch ein Schlangenbiss, das wäre die Pechsträhne des Jahres geworden.
Day Off: Alternative Inselrundfahrt
Da sich der Wind am folgenden Tag eine Pause genehmigt, frage ich Marie von der Gehörlosen-Kiteschule Deaf Ventures, die in Ummanz ihre Kurse und Camps veranstaltet, nach ein paar Tipps für alternative Ausflugsziele. Auf normalen Touristenkram haben wir keinen Bock. Die Kreidefelsen und die mondänen Seebäder sind so ausgelutscht wie ein leeres Calippo-Eis. Wer sich etwas umschaut, findet auf der Insel herrliche, einsame Ecken. Mittlerweile sind Maltes Freundin Lea und Fritzi aus Hamburg zu uns gestoßen. Als die Mädels hören, dass man im Putbusser Wildgehege Rehe streicheln kann, ist der erste Stopp klar. Putbus fällt sofort durch seine prunkvolle Architektur und die schneeweißen Häuser auf, die von einem Meer aus farbenfrohen Blumenkästen gesäumt sind. Das Wild im Gehege scheint tatsächlich Lust auf menschliche Gesellschaft zu haben und schmatzt den Damen dankend die Brotstücke aus der Hand. Danach checken wir Maries Geheimtipp aus: In Wreechen an der Südostküste, etwas nördlich vom Kite-Spot Rosengarten gelegen, findet man so etwas wie eine natürliche Steilküste im Mini-Format mit flachem Wasser zum Planschen und ein paar abgeschiedenen Buchten, um allein in der Sonne zu chillen. Zum Abschluss des Sightseeing-Tages geht es mal wieder nach Prora. Irgendwie übt dieser „Koloss von Rügen“ eine merkwürdige Faszination auf mich aus.
Und die will ich teilen, deshalb schleppe ich jeden, mit dem ich auf Rügen bin, dorthin, um das zweieinhalb Kilometer lange architektonische Ungetüm zu besichtigen. Einerseits wegen seiner erschreckenden Historie als Beton gewordener Beweis der NS-Megalomanie. Und andererseits, weil dort seit Beginn der Renovierungsarbeiten an den verfallenen Betonklötzen ein neues Problem sichtbar wird. Die Gentrifizierung macht auch vor Rügen nicht halt. Es ist sicherlich sinnvoller, das Bauwerk mit neuem Leben zu füllen, anstatt es vergammeln zu lassen, aber es überrascht ebenso wenig, dass dort in bester Strandlage in erster Linie Luxusferienwohnungen entstehen. Über bezahlbaren Wohnraum hätten sich viele Einheimische wohl auch gefreut.
Einsam Kiten in Middelhagen
Der Wind kehrt nach der kleinen Verschnaufpause mit Wucht zurück. Am nächsten Morgen nehmen wir uns mit der Halbinsel Mönchgut den Südostzipfel der Insel vor. Dort warten einige Spots, an denen ich noch nie auf dem Wasser war. Zunächst steuern wir Middelhagen an. Stramme 20 bis 25 Knoten aus Südwest schieben sich in die Bucht wie durch einen Trichter. Die sanften Hügel am Ufer bilden eine Düse und beschleunigen die Luft.
Auf dem Wasser sehe ich nur eine Handvoll Windsurfer und zwei Kiter. Offenbar gehört Middelhagen zu den weniger bekannten Spots, denn bei diesen Windbedingungen würde man in Wiek oder Suhrendorf mit ein paar Hundert anderen Leinen Spaghetti anrühren. Ein schöner Beleg dafür, dass man auf Rügen bei so ziemlich jeder Windrichtung noch ein paar leere Fleckchen findet. Der Platz am Ufer ist hier zwar begrenzt, doch auf dem Wasser kann man sich weitläufig austoben. Nur von dem Naturschutzgebiet in Lee sollte man sich fernhalten. „Die Typen dahinten warten nur drauf, dass irgendwer zu nah ans Schilf fährt“, weist uns einer der Locals auf einen Van auf der gegenüberliegenden Uferseite hin, in dem ein paar Umweltschützer sitzen sollen, um potenzielle Verstöße gegen die kite-spezifischen Abstandsregeln zu den Verbotszonen zu dokumentieren. Auch in Zeiten von … lösen sich die vorherigen Probleme also nicht in Luft auf. Der Spot ist in großen Teilen stehtief. Bei starkem Wind schiebt sich eine kleine Kabbelwelle durch die Bucht. West- bis Südwestwind ist hier empfehlenswert. Ich genieße den satten Druck und den Platz auf dem Wasser.
Thiessow: Kabbelwelle und Kabeljau
Nach einer guten Session besuchen wir zum Abschluss noch eine andere Vom-Bett-aufs-Brett-Location. Oder besser: vom Camper aufs Brett. Zwischen Thiessow und Klein Zicker erstreckt sich eine lange Bucht, in der bei Südwest auflandiger Wind ein paar kleine Wellen an den mit Steinen durchsetzten Sandstrand drückt. Das Wasser ist im vorderen Bereich ebenfalls stehtief, nur deutlich kabbeliger als eine Bucht weiter in Middelhagen. Dafür kann man bei der Surf-Oase direkt hinter dem Strand campen – wohl einer der Gründe, warum das Camp bis auf den letzten Platz besetzt ist. Nebenan steht die Kiteschule ProBoarding. Öffentliche Parkplätze direkt am Spot sind Mangelware. Entweder man hat Glück und kommt noch auf den gebührenpflichtigen Stellplatz direkt am Wasser oder man muss einen Fußmarsch von Thiessow oder Klein Zicker einplanen. Während wir in Middelhagen den Spot für uns hatten und die Bedingungen angenehmer waren, ist in Thiessow richtig was los: Bei auflandigem Südwestwind und Kabbelwelle machen etliche Einsteiger das Hinauskreuzen zur Herausforderung. Hin und wieder finde ich zwischen den Wellen ein paar Meter halbwegs glattes Wasser für einen Absprung. Die Session kann man mit „been there, done that“ abhaken. Bevor wir zurück nach Suhrendorf fahren, gönnen wir uns eine Wagenladung Fischbrötchen in der Mönchguter Fischerklause in Thiessow – selbst geräuchert und unfassbar lecker. Der zwiebelige Mundgeruch danach lässt sich trotz Maske kaum kaschieren.
Für das Wochenende ist noch stärkerer Wind angesagt – und Regen. Ich liebäugele mit einer Wave-Session an der Nordküste, aber der Wind steckt wegen der Fronten im On-off-Stottermodus fest. Mit Blick auf die grauen Wolken hält sich meine Motivation in Grenzen. Stattdessen gibt’s im Bus Bier und „Monopoly“ mit hitzigen Diskussionen um eine sozial verträgliche Bebauung der Schlossallee. Alle zanken sich mit dieser eigentümlichen Mischung aus Spaß und Ernst – genau wie früher.
Leider bleibt der angekündigte Starkwind deutlich hinter den Erwartungen zurück, weshalb wir am Sonntag entscheiden, uns allmählich auf den Rückweg in Richtung Festland zu machen. Ich muss zum Wochenstart wieder in München sein, habe aber zum Abschluss noch ein Ass im Ärmel: Die Bedingungen müssten für Ahrenshoop passen. Also biegen wir hinter Stralsund noch einmal auf die B105 in Richtung Darß ab. Nach einer Woche Flachwasser freue ich mich drauf, endlich wieder strapless ein paar Wellen zu filetieren. Doch was ich am Strand sehe, enttäuscht leider. Damit die Welle ordentlich läuft, braucht es stärkeren und länger anhaltenden Wind. Zwar knattert der Südwestwind sideshore mit 25 Knoten, doch die Wellen schwappen kaum mehr als hüfthoch rein. Für die mäßigen Bedingungen sind verblüffend viele Windsurfer auf dem Wasser, mit denen ich mich um die paar brauchbaren Wellen balge. Nach und nach gesellen sich ein paar Kiter dazu. Keine Sahne-Session, aber ein gelungener Abschluss für einen Trip, der sich selbst in Zeiten von … und der „neuen Normalität“ ein kleines bisschen wie die alte Normalität angefühlt hat. Faszinierend, was ein paar Tage Wind, Natur und gute Freunde verändern können!
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